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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom
Autoren: Thomas Ziegler
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Tempotüchern entdeckte ich ein ziemlich abgegriffenes, aber prall gefülltes Portemonnaie. Meine Finger zuckten. Der Mann war noch immer mit dem Triforium beschäftigt, die Frau mit ihrer laufenden Nase und ihren müdegelaufenen Füßen. Im Vorbeigehen angelte ich mir das Portemonnaie und ging eilig weiter, aber sie hatte nicht einmal bemerkt, daß es mich gab.
    »700 Jahre Bauzeit«, sagte der Mann erschüttert. »Unvorstellbar!«
    »Na, wir warten auch schon seit Monaten auf die Handwerker«, meinte die Frau. Sie schneuzte sich. »Und Gott allein weiß, ob sie jemals kommen werden.«
    Als sie ihr gebrauchtes Tempo achtlos zu den anderen in die Handtasche warf und die Tasche zuklappte, war ich längst hinter der nächsten Säule verschwunden. Ich öffnete das Portemonnaie und fand meine hochgeschraubten Erwartungen brutal enttäuscht; eine Handvoll Kupfergeld und ein zerknittertes Rezept für ein medizinisches Fußpflegemittel war alles, was ich erbeutet hatte.
    Frustriert stiefelte ich zum nächsten Opferstock und warf das Portemonnaie hinein.
    Vielleicht hatte Gott nach dieser kleinen Spende ein Einsehen und sorgte bei den nächsten Opfern für volle Börsen. Notfalls war ich auch zu einem Gebet bereit. Oder einer Pilgerfahrt – am besten nach Ibiza.
    Ich grinste teuflisch die Heiligenfiguren an den Säulen an und wandelte weiter suchend durch die Arkaden. Im südlichen Seitenschiff stieß ich wieder auf meine amerikanischen Touristen, die mit lauten Ohs, Ahs und Wows die monumentalen Glasmalereien an den Fenstern bestaunten. Unauffällig mischte ich mich unter sie, griff blitzartig in zwei Mäntel und eine Handtasche, die ich erst nach tollkühner Fummelei öffnen konnte, und verschwand wieder hinter einem der Pfeiler, um die Beute zu sichten.
    Das Ergebnis war niederschmetternd.
    Ein paar Kaugummis im täuschend echten Kreditkartenformat, zwei zerknitterte Zwanzigmarkscheine, ein leeres Reisescheckheft und eine abgewetzte schweinslederne Brieftasche ohne jeden Inhalt, wenn man von einer abgelaufenen Kundenkarte des Kaufhauses Macy/L.A. absah, die mir nicht einmal dann geholfen hätte, wenn sie noch gültig gewesen wäre.
    Wenn nicht bald ein mittleres Wunder geschah, konnte ich Ibiza vergessen. Dann blieb mir nur noch die Hoffnung auf die Klapse.
    Ich streunte eine Weile im südlichen Seitenschiff herum, aber der Besucherstrom versiegte merklich, und von den Leuten, die mir begegneten, sah keiner aus, als hätte er genug Geld in der Tasche, um mir das Taxi zum Flughafen zu finanzieren, vom Ticket nach Ibiza ganz zu schweigen. Kurz entschlossen machte ich mich auf den Weg zur Schatzkammer auf der anderen Seite des Doms.
    Schätze waren genau das, was ich jetzt dringend brauchte.
    Als ich eine der mächtigen Säulen umrundete, die das Gewölbe des Langhauses stützten, und in den düsteren Chorumgang bog, stolperte ich fast über Anja Behrens.
    Sie war eine pummelige Blondine mit einem göttlichen Hinterteil, das sie schamlos in die Höhe streckte, während sie auf allen vieren über den kalten Steinboden kroch. Sie trug Jeans, ein T-Shirt mit der Aufschrift Go West!, eine bananengelbe Öljacke und eine erschreckend monströse Hornbrille mit astronomisch dicken Gläsern, wie man sie sonst nur noch in den Parabolspiegeln großer Sternwarten findet. Ihr Gesicht war voll und nicht ohne Liebreiz, vorausgesetzt, man hatte etwas für Madonnen mit Babyspeck und eulenhaftem Blick übrig, und sie starrte mich wie eine überirdische Erscheinung an, was mich in Anbetracht meines teuflisch guten Aussehens aber nicht wunderte.
    »Haben Sie was verloren?« fragte ich freundlich. »Vielleicht den Verstand?«
    »Ich gugge nur«, sagte sie und starrte mich weiter an.
    Ich hatte nicht die blasseste Ahnung, was sie damit meinte. Wahrscheinlich war sie meschugge. Alle Frauen, die ich bisher kennengelernt hatte, waren meschugge gewesen, und es gab keinen Grund, warum ausgerechnet dieses blonde Pummelchen normal sein sollte.
    »Ich gugge mir den Boden an«, fügte sie hinzu.
    »Ist ja großartig.« Sie war also tatsächlich meschugge. Aber vielleicht war sie ja reich. Interessiert beugte ich mich zu ihr hinunter. »Und was gibt’s da so Faszinierendes zu gucken?«
    »Ja, sähnse nicht das Mosaik? Der Entwurf stammt von August Essenwein, 1885 bis 1892, die Ausführung von Villeroy und Boch.« Sie blieb knien, ergriff aber meine Hand und schüttelte sie, als wollte sie mir den Arm auskugeln. »Ich bin Studentin der Kunsthistorik. Anja
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