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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom
Autoren: Thomas Ziegler
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Morgen sagen kann. Beim Kaffeekochen explodiert der Gasherd, beim Blumengießen stürzt man vom Balkon, und beim Brötchenholen läuft man vor den nächstbesten Lastwagen, und alles, was von einem bleibt, sind unerfüllte Träume und die Schulden bei der Bank.
    Derartige Dinge passieren täglich, überall, jederzeit, und nicht immer nur den anderen.
    Ich kann vor dem Schicksal nur warnen.
    Wenn es anklopft, sollte man die Tür vernageln, das Telefonkabel zerschneiden, sich die Bettdecke über den Kopf ziehen und zu Gott oder sonstwem beten, daß alles nur ein Irrtum war. Mit dem Schicksal ist noch weniger zu spaßen als mit dem Strafgesetz oder der Liebe, und als liebesgeschädigter Krimineller kenne ich mich mit beiden wirklich aus.
    Tragischerweise erkennt man das Schicksal erst, wenn es einen erwischt hat, und dann ist es meistens schon zu spät.
    Für Anja Behrens ist das Schicksal kein Problem. Sie steht mit der Vorsehung auf du und du; das Wort Zufall existiert in ihrem Sprachschatz nicht. Jedes Ereignis – ob die Sonne untergeht, Shubidu Schabowski die Mauer öffnet oder ihr nur die Badewanne überläuft – alles hat für sie eine geheime, zielgerichtete, persönliche Bedeutung. An jeder Ecke sieht sie eine Schicksalsfügung lauern, hinter jeder Banalität entdeckt sie einen tieferen Sinn, und selbst der Klobesuch wird für sie zu einem Wendepunkt im Leben, wenn die Vorsehung es nur will.
    Nichts gegen ein gesundes Maß an Schicksalsgläubigkeit, aber bei ihr sprengt sie alle vernünftigen Dimensionen.
    Kaum war ich in den rosaroten Trabbi gestiegen, bekam ich auch schon zu spüren, worauf ich mich da eingelassen hatte.
    »Ich wußte, daß wir uns wiedersehen würden«, sagte Anja Behrens und glühte mich hinter ihrer monströsen Brille glücklich an. »Ich wußte es! Es war uns vorherbestimmt; es war Schicksal! Mein ganzes Leben lang habe ich nur auf diesen Tag gewartet, und jetzt ist er endlich gekommen.«
    »Ach ja?« sagte ich.
    »O ja«, nickte sie.
    Ich war in der denkbar schlechtesten Verfassung, um über Schicksalsfragen oder sonstwas zu diskutieren. Ich war mit den Nerven so am Ende, wie es ein Mensch nur sein kann, fast ohne eigenes Verschulden in Mordverdacht geraten und ohne jede Hoffnung, daß sich dieser fatale Irrtum noch zu meinen Lebzeiten aufklären würde.
    Zu allem Überfluß stand die Ampel vor uns auf Rot.
    Ich spähte zur Domtreppe hinüber, wo soeben die Frau mit den Fußproblemen und ihr kunstsinniger Mann auftauchten und wild gestikulierend den Leuten am Taxistand etwas zuriefen, was ich zum Glück nicht verstand – der Zweizylinder-Zweitaktmotor des Trabbis machte einen derart höllischen Lärm, daß ich schon ganz taub war.
    Überhaupt dämmerte mir mit kaltem Grausen, daß ich mir einen Fluchtwagen ausgesucht hatte, mit dem man im Ernstfall nicht einmal einem Dreirad entkommen konnte. Und verdammt eng war es auch – mit seinen knapp dreieinhalb Metern Gesamtlänge war der Trabbi vielleicht für eine Zwergin wie Anja groß genug, aber ich kam mir vor, als hätte ich ein Matchboxauto bestiegen. In die kaum millimeterdicke Karosserie aus Plaste hatte ich auch kein Vertrauen; zweifellos würden wir nicht einmal den Zusammenstoß mit einem Fußgänger heil überstehen.
    In der Ferne heulte drohend ein Martinshorn.
    Die Polizei!
    Sie kam, um mich zu holen, und diese verdammte Ampel stand noch immer auf Rot!
    »O nein!« sagte ich verzweifelt und starrte die Ampel an, als könnte ich sie hypnotisieren. »Mach schon, mach schon, wir müssen weg von hier!«
    »Es ist Rot«, erklärte Anja überflüssigerweise.
    »Ach ja? Kein Wunder, daß wir nicht vom Fleck kommen. Und ich dachte schon, der Trabbi kann nicht schneller.«
    Das hätte ich lieber nicht gesagt – rote Ampel hin, rote Ampel her, Anja trat prompt aufs Gaspedal. Mich traf fast der Schlag, doch es war schon zu spät, um sie an die Verkehrsregeln zu erinnern. Der Trabbi röhrte, daß man es noch in Nippes hören mußte, machte einen Satz nach vorn und schoß mit einer Geschwindigkeit über die Bahnhofstraße, die selbst bei einem Porsche Staunen erregt hätte. Ich hörte dicht hinter uns wütendes Hupen und panisches Bremsenquietschen und sah im fleckigen Rückspiegel einen Mercedes quer über die Fahrbahn schlingern. Offenbar hatten wir ihn mit unserem Blitzstart zu einem selbstmörderischen Ausweichmanöver gezwungen, das ihn mit ein wenig Pech direkt in die Bahnhofshalle tragen würde, aber da bretterten wir auch schon um
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