Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom
Autoren: Thomas Ziegler
Vom Netzwerk:
die nächste Ecke in die Domprobst-Ketzer-Straße und rasten Richtung Hauptpostamt davon.
    Ich sank auf dem Plastesitz in mich zusammen, klammerte mich mit beiden Händen ans Armaturenbrett und fragte mich, was ich eigentlich verbrochen hatte, daß ich so bestraft wurde.
    »Da biste platt, was?« sagte Anja stolz. »Von wegen lahmer Trabbi!«
    Ich sagte nichts; ich war zu sehr mit dem Überleben beschäftigt. Außerdem drang das Heulen der Martinshörner jetzt von allen Seiten an mein Ohr. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis die ersten Polizeiwagen auf der Bildfläche erschienen, den rosaroten Kamikaze-Trabbi entdeckten, uns in die Zange nahmen und zwischen ihren Stoßstangen zermalmten.
    Doch Anja – oder die Vorsehung – hatten ein Einsehen. Die Ampel an der Ecke Tunisstraße stand auf Rot, und meine blonde Ossi trat auf die Bremse und hielt an, statt mit rauchenden Reifen über die Kreuzung und geradewegs in den Gegenverkehr zu donnern, wie ich es eigentlich erwartet hatte.
    Ich atmete tief durch.
    »Normalerweise schafft so ein Trabbi nur knappe hundert«, informierte mich Anja und streichelte liebevoll das Lenkrad, »aber ich hab’ ihn frisiert. Theoretisch können wir sogar hundertachtzig fahren, aber ab hundertfünfzig zerreißt’s die Plaste.«
    »Und was tankst du?« fragte ich heiser. »Kerosin?«
    »Hab’s noch nie probiert. Klingt aber nach einer guten Idee.«
    Ich warf ihr einen schrägen Blick zu. Zweifellos war sie meschugge genug, um die Sache mit dem Kerosin ernst zu meinen. Das selbstzufriedene Lächeln auf ihrem Madonnengesicht gefiel mir nicht, und das immer lauter werdende Sirenengeheul gefiel mir noch viel weniger.
    »Okay«, sagte ich, »okay. Ich hab’s kapiert. Ich weiß jetzt, daß dein Trabbi notfalls auch beim Formel-1-Rennen mitmachen kann. Aber wir sind hier mitten in der Innenstadt! Da gelten andere Regeln als auf dem Nürburgring. Alles, was auf den Kölner Straßen schneller ist als der Schall, wird von der Polizei sofort aus dem Verkehr gezogen. Okay?«
    Sie grinste nur.
    Aber als die Ampel auf Grün sprang, verzichtete sie auf jeden Versuch, die Schallmauer zu durchbrechen, bog schon fast provozierend langsam in die Tunisstraße und rollte mit einem halbwegs zivilen Tempo die Nord-Süd-Fahrt hinunter. Auf der Gegenfahrbahn tauchten die ersten Polizeiwagen auf und rasten mit blitzenden Blaulichtern an uns vorbei, Richtung Dom.
    Ich duckte mich, wandte mein Gesicht ab und sah starr aus dem Seitenfenster, bis das Sirenengeheul in der Ferne verklungen war. Ich wartete, doch die Sirenen kehrten nicht zurück. Wir hatten es tatsächlich geschafft. Es war unglaublich! Eigentlich hätte ich glücklich oder zumindest erleichtert sein müssen; schließlich war ich zum zweiten Mal an diesem Tag der Polizei entwischt.
    Aber ich war nicht erleichtert.
    Und von Glück konnte schon gar keine Rede sein.
    Im Gegenteil, mit jeder verstreichenden Sekunde wurde mir immer bewußter, daß ich mit meiner erfolgreichen Flucht wahrscheinlich einen furchtbaren und nicht mehr wiedergutzumachenden Fehler begangen hatte. Hätte ich auch nur einen Funken Verstand besessen, wäre ich im Dom geblieben und hätte die Sache erklärt, so aussichtslos dies unter den gegebenen Umständen auch sein mochte.
    Ich dachte an das Messer.
    An meine Fingerabdrücke auf dem Messergriff.
    An meine Fingerabdrücke auf dem Gipsarm.
    An die Schlüsse, die ein durchschnittliches Polizistengehirn daraus ziehen würde. An die grauenvollen Konsequenzen, die diese Schlüsse für mich haben mußten.
     
    WANTED:
    Harry Hendriks, Taschendieb, Lebenskünstler und Mörder.
    Besondere Kennzeichen:
    Teuflisch gutes Aussehen und vertrauenerweckendes Lächeln, das allerdings niemand täuschen sollte.
    Besondere Hinweise:
    Erschießt ihn.
     
    Ich schluckte.
    Was war nur passiert? Noch vor ein paar Stunden war ich lediglich pleite gewesen, und jetzt wurde ich nicht nur wegen Taschendiebstahls, sondern auch noch wegen Mordes gesucht! Ich brauchte Hilfe. Ich brauchte soviel Hilfe, wie ein Mensch nur bekommen konnte, aber wer war schon bereit, einem Mörder auf der Flucht zu helfen?
    Keiner, den ich kannte, soviel stand fest.
    Der einzige Mensch außer mir, der diese scheußliche Verwechslung aufklären konnte, war der Mörder, und der war so ziemlich der letzte, der daran ein Interesse haben konnte. Und wer würde mir die Wahrheit glauben?
     
    KOMMISSAR: Warum haben Sie den Mann erstochen, Hendriks? Weil Sie ihn ausrauben wollten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher