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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus
Autoren: Petra Oelker
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kleinen schwarzen Augen wachsam, wie St. Roberts seinen deutschen Freund nötigte, neben Emily Platz zu nehmen. St. Roberts’ einzige Tochter erinnerte Claes an die Porzellanfigurinen, die er im letzten Jahr von der Leipziger Messe mitgebracht hatte: zart, kühl und glatt. Sie nickte ihm mit einem flüchtigen Lächeln zu und nippte an ihrem Kaffee.
    Claes fühlte sich unbehaglich. Wegen Emily und wegen des Kaffees. Beide spielten in seinem Leben in diesen Wochen eine wichtige Rolle, und beide bereiteten ihm Sorgen. Eine der beiden Sorgen würde er am nächsten Tag nicht mehr haben. Aber das wusste er jetzt noch nicht. Und so blieb ihm nur, seinen Kaffee zu trinken und schwer und heimlich zu seufzen.
     
    Claes Herrmanns betrat das Frühstückszimmer am nächsten Morgen als Letzter. Die Herrschaften, so teilte ihm Frederik mit, seien alle schon fort. Mademoiselle Anne und Monsieur Paul hofften, ihn später im Kontor am Hafen zu sehen. Monsieur William sei nach St. Hélier geritten, und Mademoiselle Emily sei spazierengegangen, was sich am Vormittag für eine junge Dame nicht schicke, aber Mademoiselle habe immer ihren eigenen Kopf.
    Der alte Diener blickte streng.
    Zu Hause in Hamburg war Claes am Morgen stets der Erste. Manchmal ging er schon vor der Morgensuppe hinunter an den Hafen. In seinem großen Haus am Neuen Wandrahm mit dem reichverzierten, barock geschwungenen Giebel war es um diese frühe Stunde noch still. Aber an den Vorsetzen, am Baumwall und beim Neuen Kran drängten sich schon die Lastträger und Karren. Es roch nach Wind, Brackwasser, Teer und Gewürzen. Die ersten Ewer vom Südufer der Elbe, von Glückstadt, Stade oder den Vierlanden passierten den Schlagbaum und glitten in den Binnenhafen. Breitschultrige Männer stakten flache Schuten in die Fleete, vollbeladen mit Frachten von den Seglern für die Speicher in der Stadt.
    Aber hier hatte er seit drei Wochen nichts zu tun, als zu warten. In den ersten Tagen hatte er stundenlang am Pier gesessen und auf den Horizont gestarrt, als könnte er auf diese Weise die Brigg, die er so dringend erwartete, herbeizaubern. William hatte ihn aufgefordert, am Morgen mit ihm auszureiten. Aber Claes ritt nie zum Vergnügen. Und er hatte gesehen, wie William seine Stute im scharfen Galopp über die taunassen Wiesen jagte und kein Hindernis scheute. Die Vorstellung, es ihm gleichtun zu müssen, hatte ihn frösteln lassen.
    Auch wenn William sich seinem Tempo angepasst hätte, wäre ein gemeinsamer Ausritt für Claes keine Entspannung gewesen. Er fühlte sich in Gesellschaft von St. Roberts’ elegantem Neffen stets ein wenig unbehaglich. Warum, wusste er nicht, es gab keinen Grund zur Klage. William zeigte weit über die reine Höflichkeit hinaus echtes Interesse an dem alten Freund seines Onkels, er war ein guter Zuhörer und ein charmanter Plauderer. Dennoch spürte Claes in Williams Gegenwart eine ungreifbare Spannung. In den bernsteinfarbenen Augen des jungen Kaufmanns fand er wenig von der Wärme, Großzügigkeit und Lebenslust, die den Umgang mit Paul so angenehm machten.
    Claes stand unschlüssig vor dem Frühstückstisch. Das üppige Dinner vom vorigen Abend lag ihm noch im Magen. Er griff nach einem Pfirsich und machte sich auf den Weg zum Hafen.
    Am Abhang über der Stadt blieb er stehen und betrachtete das friedliche Bild zu seinen Füßen. St. Aubin lag in der warmen Septembersonne. Möwen glitten in weiten Bögen über das grün glitzernde Wasser der Bucht, in der nach Sonnenaufgang die Delphine sprangen.
    Hier herrschte nie das hektische Treiben, das für den Vormittag in Hamburg so typisch war. Die wichtigste Stadt auf Jersey war ein Dorf, der Hafen nicht viel mehr als eine lange Mole und ein paar Lagerschuppen. Am Ufer der langgestreckten Bucht, die einige Meilen weiter bei St. Hélier in schroffen Felsen endete, lagen kleine Werften. Der Lärm der Hämmer und Sägen der Schiffsbauer vermischte sich mit dem Gegacker der Hühner auf der sandigen Straße und bestimmte die Musik des Ortes. Claes war Hafenstädte wie Hamburg, Lissabon oder Bristol gewöhnt. Er fand es erstaunlich, dass dieses verschlafene Nest ein bedeutender Handelsplatz war.
    «Gefällt Euch unsere Insel, Monsieur?» Emily war plötzlich hinter einer Geißblatthecke hervorgetreten und stellte sich ihm in den Weg, als ob sie auf ihn gewartet hätte. «Unser ruhiges Leben langweilt Euch gewiss.»
    «Guten Morgen, Mademoiselle Emily.» Claes verneigte sich höflich und sah Pauls
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