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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus
Autoren: Petra Oelker
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Französische beherrschte er einigermaßen. Aber der ständige Wechsel zwischen den beiden Sprachen, wie er im Hause St. Roberts üblich war, strengte ihn an. Ganz besonders weil der französische Dialekt auf der Insel, das alte normannische Jersiais, für ihn nur schwer zu verstehen war.
    Drei Wochen war er nun schon auf Jersey. Und was hatte er bisher erreicht? Gar nichts.
    Claes hatte Sorgen. Sein Handelshaus gehörte zu den großen in Hamburg, aber das machte auch seine Sorgen groß. Seit dem Ende der sieben Jahre dauernden Kriege zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft auf dem Kontinent und zwischen England, Spanien und Frankreich auf See um ihre überseeischen Kolonien ging es den Hamburgern schlecht.
    So gut wie sie als Händler einer neutralen freien Reichsstadt während der Kriege verdient hatten, so sehr litten sie nun unter den Folgen. Der Zusammenbruch der preußischen Währung hatte in den letzten zwei Jahren viele holländische Banken ruiniert, die viele Hamburger Händler mit in den Bankrott gezogen hatten.
    Seit einigen Jahren forderten die Franzosen für jeden Sack, der von einem französischen Schiff im Hamburger Hafen gelöscht wurde, für jedes Fass, das ein deutsches Schiff in Frankreich an Bord nahm, deftige Gebühren. Das ließ den Gewinn gefährlich schrumpfen.
    Aber solange alle Waren aus den Kolonien nur von Schiffen der Kolonialmächte transportiert werden durften, waren die deutschen Händler machtlos. Die Hamburger traf es besonders hart. Ein großer Teil der Kolonialwaren und jeder zweite Sack Kaffee aus den französischen Kolonien ging über den Hamburger Hafen. Als Paul St. Roberts seinem alten Freund anbot, ihm zu billigeren Kaffeelieferungen zu verhelfen, hatte Claes deshalb nicht lange gezögert.
    Ein Kapitän, der während der Kriegsjahre als Freibeuter manches französische Schiff für die englische Krone gekapert hatte, lieferte nun Kaffee direkt aus den amerikanischen Kolonien. Für die Leute auf Jersey war das kein Verbrechen. Sie waren zwar mehr oder weniger loyale Untertanen des englischen Königs, aber sie lebten zoll- und steuerfrei, und der Schmuggel auf den Kontinent und an die englische Küste blühte hier seit Jahrhunderten.
    Es war Claes peinlich, auf Jersey in der Sonne zu sitzen, nichts zu tun und auf einen Schmuggler zu warten. Paul hatte nur gelacht. Das sei doch ganz normal, und im Krieg sei es sogar legal. Schon Elisabeth, die große Königin, habe mit den Beutezügen von Sir Francis Drake, dem verwegensten aller Freibeuter, ihre Juwelen und ihre ruhmreichen Seekriege, vor allem die Vernichtung der spanischen Armada, finanziert. Und selbst die frommen Malteser-Ritter, zu denen auch viele Deutsche gehörten, machten reichen Profit auf Kaperfahrten.
    Dass zurzeit kein Krieg herrschte, kümmerte Paul dabei wenig. Es sei ja doch nur eine Pause. Bis zum nächsten – das zeige die Geschichte – dauere es nie lange. Und wer wusste schon, wann die Franzosen das nächste Mal versuchen würden, ganz Jersey und seine Nachbarinseln zu kapern.
    Sicher hatte Paul recht, und Claes war nie zimperlich, wenn es um ein gutes Geschäft ging. Aber er fand es doch unwürdig für einen hanseatischen Kaufmann, untätig herumzusitzen und auf einen Abenteurer zu warten.
    Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn er Behrmann geschickt hätte. Der war mit allen Geschäften vertraut, zuverlässig wie kein Zweiter und hätte auch auf den Teufel gewartet, um dem Handelshaus Herrmanns zu nutzen. Aber da war noch die Sache mit Emily. Die konnte ihm niemand abnehmen.
    Ohne Zweifel war Pauls Tochter eine gute Partie. Die großen dunklen Augen, die milchzarte Haut und der kleine kirschrote Mund gaben ihr den Ausdruck einer Puppe. Doch das täuschte: Wie alle St. Roberts hatte sie einen wachen Geist und eine gute Bildung. Kein Wunder bei den Menschen, die im Haus ihres Vaters ein und aus gingen. Jeder Künstler oder Wissenschaftler, der Jersey besuchte, ob Genie oder Dilettant, wurde eingeladen, fürstlich bewirtet und gründlich befragt.
    Morgen, dachte er, morgen muss ich endlich eine Entscheidung treffen.
    Claes betrachtete die Gesellschaft, die sein alter Freund und Handelspartner Paul an diesem Abend um seinen Tisch versammelt hatte. Rechts neben ihm saß John Maynor, der Arzt der reichen Händler und Gutsherren auf der Insel. Ein beleibter Herr, der, obwohl er sein graues Haar noch unter einer altmodischen hohen Perücke verbarg, mit Neugier und geübtem Verstand
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