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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil
Autoren: Anton Gill
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Obeliskenbarke war. Sein Puls schlug schneller. Würde er diesmal an Bord sein, wenn sie wieder fortsegelte, statt ihr nachzuschauen?
    Er zügelte seine Erregung, denn er wußte, daß die Verzweiflung, die auf die Hoffnung folgte, vernichtend sein konnte, und so arbeitete er den Rest des Nachmittags mit einer Sorgfalt, die der Steinhauer überrascht der Tracht Prügel zuschrieb, die Surere von dem Wärter bezogen hatte. Der Steinhauer arbeitete nun auch schneller; dies war der letzte Obelisk, den er hier schlagen mußte - den Göttern sei Dank. Wenn er ihn aus seinem Felsenbett herausgelöst hatte, war sein Vertrag erfüllt, und er würde sich auf die weite Reise nach Norden begeben und in den Kalksteinbrüchen von Tura arbeiten, wo keine Sträflinge beschäftigt wurden. Der Steinhauer arbeitete nicht gern mit ihnen. Ihre Verzweiflung war ansteckend, so daß er sich beinahe selbst wie einer von ihnen fühlte.
    Später, im Lager auf dem schmalen Streifen festen Landes zwischen dem Steinbruch und dem Fluß, hockte Surere etwas abseits von den Mitgefangenen über das übliche Abendessen gebeugt, das aus shemshemet bestand, dem leimartigen Kohleintopf, der hier das Hauptnahrungsmittel war. Die Gefangenen hatten kaum Kontakt untereinander; die Behörden hatten dafür gesorgt, daß nur wenige frühere Beamte von Echnatons Hof zusammen in einer Kolonne waren, und die zwei, mit denen Surere neben einem Dutzend gewöhnlicher kleiner Gauner, die hier wegen Taschendiebstahl oder geringfügiger Betrügereien eine kurze Strafe verbüßten, nachts das Zelt teilte, waren in sich gekehrte stille Männer, die weder ihre glorreiche Vergangenheit vergessen noch ihre schreckliche Gegenwart akzeptieren konnten. Deshalb störte es niemanden - ja, es bemerkte nicht einmal jemand -, daß Surere mit seiner abgestoßenen Steingutschale abseits saß und sich den Brei mit den Fingern in den Mund schob.
    Die Nacht brach herein, und hier und da wurden Fackeln - in Bitumen getauchte Papyrusbündel - angezündet. Jede warf ein spärliches Licht, und wenn es erlosch, senkte sich tiefste Finsternis herab. Nicht einmal Zikaden durchbrachen die Stille; das einzige Geräusch, bald tröstend, bald spottend, war das rastlose Murmeln des Flusses.
    Im Lichte der Fackeln sah Surere die Silhouetten der großen Zedernholz-Ladekräne mit ihren Palmfaserseilen und Gestellen. Noch auf den Rollen, mit deren Hilfe er vom Steinbruch an den Kai transportiert worden war, lag ein großer, fleckiger Obelisk, der jetzt nur als dunkler Klotz zu erkennen war; in dem flackernden Licht wirkten seine schattenhaften Umrisse bedrohlich. Surere kratzte die letzten Reste seines Essens zusammen und suchte mit den Augen das Ufer nach der vierschrötigen Gestalt Chaemhets ab. Nur wenige Leute waren zu sehen, manche noch mit den letzten Arbeiten des Tages beschäftigt, andere standen in kleinen Gruppen zusammen, und der Klang ihrer gedämpften Stimmen hallte schwach zu Surere herüber. Der freundliche Steinhauer war aber nicht dabei, und Surere ermahnte sich streng, sich keine verstiegenen Hoffnungen zu machen. Trotzdem schaute er weiter hin, bis die Fackeln heruntergebrannt waren und am Kai nur noch die Nachtwache stand.
    Er ging zum Fluß, um seine Eßschale zu spülen und sich zu waschen. Die Lagerleitung gestattete, ja, billigte dies sogar. Die Aufsicht im Arbeitslager wurde locker gehandhabt. Steinbruch und Unterkünfte lagen am Ostufer, und man konnte nirgends hinfliehen. An den Fluß grenzte die Wüste, am anderen Ufer - falls jemandem das nahezu Unmögliche gelänge, hinüberzuschwimmen - lag noch eine weitere Wüste, und bis zur Oase Kharga waren es zehn Tagesmärsche. Nach Süden und Norden hin boten sich ähnliche Schwierigkeiten. Der einzige Ausweg war, auf eine Barke zu gelangen, die in eine der Hauptstädte fuhr, und dort zu fliehen.
    Surere hockte am Rand des dunklen Wassers. Irgendwo in der Nähe schrie ein Mädchen, aber rasch wurde ihr der Mund zugehalten. Die Stimme klang so klar, so unschuldig, daß sie kaum einer der rauhen syrischen Huren gehören konnte, die ihr Geschäft in einer palmstrohgedeckten Hütte betrieben, wo die Wände mit phantasievollen Bildern bemalt waren, auf denen Mädchen die Beine um Esel und Paviane schlangen. Wieder dachte Surere kurz an Amenenopet. Was mochte aus ihm geworden sein? Traurig mußte er sich eingestehen, daß die Züge des Jungen in seiner Erinnerung allmählich verschwammen. Früher hätte er das nie für möglich gehalten;
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