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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil
Autoren: Anton Gill
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Tod für einen Gefangenen. Wer nicht mehr gehen konnte, war außerstande, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten, und da es im Lager keine Arzte gab, kam das Ende entweder unter den Schlägen der Wachen, oder der Gefangene suchte es selbst, indem er sich nachts ans Ufer schleppte und sich dem Fluß überließ.
    Er sammelte staubige Scherben in eine zerfetzte Schürze und schaute auf seine schwieligen Hände, die aussahen, als gehörten sie einem Fremden. Er erinnerte sich, wie er damit seinen teuren Geliebten gestreichelt hatte, Amenenopet, den hinreißenden Jungen. Nur einen Augenblick lang verharrte er bei diesem zärtlichen Gedanken. Die Reinheit der Jugend. Wie schön könnte das Leben sein, ersparte es uns seine bitteren Lektionen, dachte er.
    Mit einem Kopfschütteln vertrieb er diese Gedanken und kletterte aus dem Graben, um die Scherben auf den Schuttkarren zu kippen, der nachher den Hang hinunter zur Abraumhalde geschoben würde. Er wußte, wer hier im Lager Erinnerungen an eine glückliche Vergangenheit nachhing, endete unweigerlich im Wahnsinn.
    Er wandte seine Gedanken in eine andere Richtung. Seit Wochen kultivierte er jetzt sein Verhältnis zu einem der Steinhauer. Es waren Hilfsarbeiter, die die Obelisken roh aus dem Fels hauen mußten, bevor sie auf Barken geladen und flußabwärts in die Nördliche und die Südliche Hauptstadt verfrachtet wurden, wo die
    Steinhauermeister ihnen ihre endgültige Form gaben und Kunstschmiede und Bildhauer sie mit den Hieroglyphen schmückten, ehe sie an einem geweihten Ort aufgestellt wurden.
    Dieser Mann, Chaemhet, sollte demnächst einen neuen Obelisken in die Südliche Hauptstadt bringen, und Surere glaubte zuversichtlich, daß er endlich einmal als einer der sehr wenigen, sehr privilegierten Gefangenen auserwählt werden würde, die ihn begleiteten. Er hegte diese Hoffnung, obwohl unter den Insassen des Lagers bis jetzt noch kein ehemaliger Beamter vom Hofe König Echnatons diese Gunst erfahren hatte. Dem toten Pharao, dessen visionäre Regentschaft für das Imperium des Schwarzen Landes so katastrophal geendet hatte, war sogar der Name genommen worden. Jetzt, unter Pharao Tutenchamun, durfte man von seinem Vorgänger nur als dem Großen Verbrecher sprechen. Surere schauderte es. Wenn man einem Menschen, und sei es ein gottähnlicher wie der Pharao, den Namen wegnahm, vernichtete man seine Seele und ihm war kein ewiges Leben nach dem Tode vergönnt, ein schrecklicher Gedanke!
    Der Tag war weit fortgeschritten, und die Sonne stand tief am westlichen Horizont. Aber immer noch brannte sie heiß herab, und der glatte Granitfels warf die Hitze zurück und entfachte eine wilde Glut in Sureres Gesicht. Für einen Augenblick ließ er sein Herz noch einmal durch die Straßen der Stadt des Horizonts wandern, die Echnaton erbaut hatte als Zentrum für seine neue Religion, die alle alten Götter weggefegt hatte. Der Pharao hatte sein Volk gelehrt, das Leben zu verehren, das von Aton kam - von der Macht, die im Sonnenlicht tanzt. Ganz von selbst kamen Surere die Zeilen aus dem großen Lied des Königs in den Sinn, und für einen kurzen Moment vergaß er Staub und Hitze des Arbeitslagers. Es war, als habe sich eine kühle Hand auf seine Stirn gelegt und seine Einsamkeit und Verzweiflung gelindert:

    Deine Dämmerung ist schön am Horizont des Himmels,
    O lebender Aton, Du Anfang des Lebens!
    Wenn Du aufsteigst am östlichen Horizont des Himmels,
    Erfüllst Du alles Land mit Deiner Schönheit;
    Denn Du bist schön und groß und funkelnd, hoch über der Erde,
    Und deine Strahlen umfangen das Land und alles, was Du geschaffen.
    Du bist Ra, und Du hast alles in Deinem Bann,
    Bindest alles mit Deiner Liebe.
    Und bist Du auch fern, Deine Strahlen berühren die Erde,
    Und bist Du auch hoch, deine Fußspuren sind der Tag.

    Er bückte sich, um Steinsplitter aufzusammeln, die vom bronzenen Meißel des Steinhauers flogen, und als er nah an den Mann herankam, roch Surere seinen Schweiß. Früher hätte er daran Anstoß genommen, dachte er. Aber jetzt, da war er sicher, stank er selbst viel schlimmer. Der Steinhauer spürte seinen Blick, drehte sich um und funkelte ihn an. Surere richtete sich auf, entspannte seinen Rücken und schleppte wieder eine Schürzenladung zum Karren.
    Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Fluß tief unter ihm, wo gerade eine mächtige Barke am Kai anlegte. Ihr breites Deck, ihre Länge und auch ihr ramponiertes Aussehen verrieten ihm, daß es eine
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