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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil
Autoren: Anton Gill
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    Die Knute traf ihn mit einer Wucht ins Kreuz, daß der Schmerz wie ein strahlender Stern durch seinen Körper schoß, bis in die Fingerspitzen, die Füße und unter die Schädeldecke. Die Gefangenen waren kahlgeschoren, aber sie durften ihre Köpfe nicht bedecken, wenn sie in der Tageshitze im Steinbruch arbeiteten. Die Priester hatten verfügt, daß der Gott Ra ebenfalls an ihrer Bestrafung teilhaben müsse.
    Ein zweiter Schlag schleuderte ihn auf die rauhe Erde, wo Steinsplitter sich in Knie und Ellbogen bohrten. Trotzdem kroch er voran, um dem dritten Peitschenhieb zu entgehen. Er hörte, wie der Peitschenriemen durch die Luft pfiff, aber diesmal erwischte der Wärter ihn nur hinten an den Beinen, deren Muskeln, von achtzehn Monaten Zwangsarbeit gehärtet, dem Schlag leicht widerstanden. Aber er hatte nicht mehr die Kraft, einer weiteren Attacke zu entfliehen; ausgestreckt blieb er liegen, fühlte, wie die Sonne sich in ihn hineinbrannte, und schmeckte das salzige Blut auf den Lippen, das sich mit dem Staub des Steinbruchs mischte. Dicht vor seinen Augen ragte ein spitzer Stein in die Höhe wie ein Berg.
    Er nahm all seine Kraft zusammen und machte sich auf den nächsten Hieb gefaßt. Um Mut zu fassen, flüsterte er im Herzen seinen Namen: Surere. Aus dem Augenwinkel sah er die Peitsche vorbeizischen, dahinter die schmutzigen Füße der anderen Gefangenen, die abseits standen und zuschauten.
    Der Wärter ließ von ihm ab.
    »Aufstehen!« hörte Surere aus großer Höhe.
    Vorsichtig stützte er sich auf Hände und Knie und bebte vor Angst, der Wärter könne es sich noch anders überlegen, aber als er aufblickte, sah er nur den muskulösen Rücken; der Mann ging schon davon und sah sich nach einem anderen Drückeberger um.
    Surere kämpfte sich auf die Füße und fluchte lautlos. Daß er in dieser Hölle des Südens, hier im Rotgranitsteinbruch Nummer sieben in der Nähe des Ersten Kataraktes nicht seinen Verstand verlor, hatte er nur einem zu verdanken: der Wahrung seiner Würde. Bezirksgouverneur war er unter dem alten König, unter Echnaton, gewesen, und Bezirksgouverneur würde er bleiben, auch wenn es schon lange her war, daß man ihm Rang und Titel genommen und ihn während der Säuberungen nach Echnatons Tod und dem Untergang der neuen Hauptstadt, der Stadt des Horizonts, hier herunter verschifft hatte, auf einer Sträflingsbarke, auf der viele seiner Beamtenkollegen gewesen waren.
    Wie lange war das her? Zwei Jahre? Drei? Surere hatte sich bemüht, sein Zeitgefühl nicht zu verlieren, aber das alljährliche Hochwasser des Flusses war der einzige Einschnitt in der endlosen Monotonie sonniger Tage an diesem Ort, wo nicht einmal die höchsten Feste beachtet wurden. Seitdem waren die meisten seiner Kollegen, hochrangige Schriftgelehrte und Beamte wie er selbst, an der ungewohnten Schwerarbeit zugrunde gegangen.
    Er hatte überlebt, weil es ihm gelang, seine Innenwelt abzuschirmen. Er würde niemals unhöflich sein und niemals zulassen, daß die Brutalitäten des Arbeitslagers in seine Seele eindrangen - auch wenn ihn das große Anstrengung kostete. Er hatte miterlebt, wie gebildete Männer sich dermaßen vergaßen, daß sie unaufhörlich masturbierten; selbst bei der Arbeit waren ihre Hände immer wieder zu ihrem schlaffen Penis gewandert, wenn die Wärter gerade nicht aufpaßten. Grau war ihre Haut gewesen, wie Papyrus hatte sie sich über die Gesichter gespannt, und das Erlöschen aller Willenskraft hatte ihre Augen milchig werden lassen. Er hatte Beamte erlebt, die sich bei Hofe in der Stadt des Horizonts nicht einmal vor ihren Konkubinen, geschweige denn vor ihren Ehefrauen, ungeschminkt oder unparfümiert gezeigt hätten, und die sich hier überhaupt nicht mehr wuschen; ihre zerlumpten Lendentücher waren von altem Kot verkrustet, die Gesichter von abstoßenden Bartstoppeln bedeckt, und ihr Atem roch faul nach schlechten Zähnen und nach Sauerbrot und Zwiebeln, die hier als Nahrung verabreicht wurden.
    Er machte sich wieder an die Arbeit, eine verhältnismäßig leichte Aufgabe, die er seiner guten Führung und seinem Überlebenswillen verdankte: Er mußte die Splitter zusammenkratzen, die sich ansammelten, wo die Steinmetze einen Obelisken aus einer steilen Granitböschung meißelten. Die Palmfaserfesseln an seinen Füßen scheuerten zwar noch immer an der wunden Haut, aber seine Füße waren inzwischen so abgehärtet, daß er keinen quälenden Schmerz mehr empfand. Kranke Füße bedeuteten den
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