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Tod am Nil

Tod am Nil

Titel: Tod am Nil
Autoren: Anton Gill
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stehen, um sich zu orientieren. Die ganze Zeit hatte er sich mit dem zielstrebigen Schritt eines Mannes bewegt, der eine Verabredung einzuhalten hat. Er brauchte Unterkunft und saubere Kleidung, und er mußte in einen Stadtteil gelangen, in dem sich niemand über das Auftauchen eines Fremden wunderte und wo die Leute ihre eigenen Geheimnisse hatten.
    Was sein weiteres Vorgehen betraf, war er unsicherer, als er sich eingestehen wollte. Aber er war frei, und er vertraute darauf, daß der Aton, der Gott des Sonnenlichts und Beschützer der Unschuldigen, an dessen Macht er all seinen Leiden seit dem Sturz Echnatons zum Trotz nicht gezweifelt hatte, ihn beschützen würde.

Z WEI

    Das dunkelhäutige Mädchen, das Huy zu seinem Platz führte, trug nichts als einen breiten goldenen, mit ovalen Türkisen besetzten Kragen und um die Hüften einen schmalen, glitzernden Gürtel. Huy trank aus dem Weinbecher, den sie ihm reichte, und schaute sich unter den anderen Gästen um.
    Einige trugen parfümierte Girlanden um den Hals, und die meisten Frauen hatten Parfümkegel auf den schwarzen Perücken. Fünfzig Leute waren in der Säulenhalle versammelt. Auf zehn kleine Tische verteilt, saßen sie in Fünfergruppen rings um ein Podest, auf dem ein Quartett von Musikerinnen mit einer Sängerin thronte.
    Huy hatte sich verspätet und murmelte den drei Leuten an seinem Tisch eine Entschuldigung zu - einer traurig dreinblickenden Frau, die er nicht kannte, ihrem Mann, einem Kornmakler, dem er schon einmal begegnet war, und einem Medjay-Hauptmann namens Merymose. Sie begrüßten ihn reserviert, aber nicht unfreundlich, so wie es Fremde bei der ersten Begegnung eben tun. Aus ihrem Verhalten schloß Huy, daß sie seine Vergangenheit entweder nicht kannten oder daß sie ihnen gleichgültig war.
    »Wo ist unsere Gastgeberin?« fragte er und sah sich im Raum um. Die Einladung von Taheb war aus heiterem Himmel gekommen, und zunächst hatte er daran gedacht, sie nicht anzunehmen. Er hatte Amotjus Witwe seit dem Tod seines Freundes nicht mehr gesehen, und auch, wenn die Ereignisse im Zusammenhang mit Amotjus Tod sie zu unfreiwilligen Verbündeten gemacht hatten, schien sie ihm doch alles andere als wohlgesonnen zu sein. Nur aus einem Grund hatte er beschlossen, doch zu diesem Abendessen zu gehen: Er war neugierig. Wenn Taheb es für angebracht gehalten hatte, ihn einzuladen, mußte es einen Grund geben. Es war eher amüsant als schmeichelhaft, daß man ihn an einen Tisch geführt hatte, an dem Stühle standen, nicht die Schemel, die weniger geehrten Gästen zugewiesen wurden.
    »Sie wird gleich zu uns kommen«, sagte der Makler und deutete auf den leeren Stuhl zwischen Huy und dem Medjay. »Sie verhandelt mit ihrem Verwalter wegen der Akrobaten. Sie sind zu früh gekommen, weil sie später noch einen anderen Auftritt bei einem anderen Festmahl haben.«
    »Ich sehe nicht ein, wieso sie nicht jetzt auftreten können«, meinte seine Frau, die gelangweilt aussah.
    »Weil sie den Speiseaufträgern in die Quere kommen würden«, erwiderte ihr Mann sachlich.
    »Oh.« Sie nahm die Alraunfrucht, die an ihrem Platz lag, und sog den eklig-süßen Duft ein; dabei schaute sie rasch zu Merymose hinüber, der ihr Angebot mit freundlichem Blick ablehnte.
    »Findest du nicht, daß es dafür ein bißchen zu früh ist?« fragte der Makler und zeigte auf die Frucht. Die Frau murmelte etwas, aber ohne Gehässigkeit, und legte die betäubende Frucht seufzend aus der Hand. Die peinliche Szene fand ein Ende, als zwei Mädchen mit goldenen Tellern herankamen; sie brachten Honigbrot, Gurken, nabk -Beeren, Falafel und - welch ein Luxus - gebratenes Rindfleisch. Eine dritte trug einen Krug mit Granatapfelwein und füllte allen die Becher nach. Die Frau des Maklers trank ihren in einem Zuge leer und hielt ihn hoch, um sich nachschenken zu lassen. Der Makler tat, als merke er nichts.
    Um die Aufmerksamkeit abzulenken, fragte Merymose, ob jemand schon den mächtigen, rohbehauenen Obelisken gesehen habe, der vor einer Woche vom Ersten Katarakt gekommen sei und seitdem auf dem Dritten Kai liege, weil einer der Hebekräne dort beim Abladen zusammengebrochen sei.
    »Ich glaube, sie haben ihn inzwischen auf Rollen geschoben«, sagte der Makler.
    »Ist der Kai dafür nicht zu schmal?« fragte Huy höflich.
    »Für eins muß man dankbar sein: daß der Stein nicht zerbrochen ist«, meinte der Makler. »Dieser Obelisk soll als Denkmal für Haremhebs Siege im Norden während der
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