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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn
Autoren: J Tan
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geht«, gestand Godeke und nahm ihre Hand.
    Runa lächelte müde. Sie war sehr blass, und ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie sich vollständig von den Strapazen erholt hätte, doch welcher Ort eignete sich besser für eine Genesung als ihr eigenes Heim?
    Jetzt betrat auch Walther die Kammer.
    Albert gab den Platz an Runas Bett frei, damit sein Schwiegersohn ihn einnehmen konnte. »Wir kommen später noch einmal und schauen nach dir.« Dann waren sie auch schon verschwunden.
    Die Eheleute waren allein in der Kammer.
    Langsam setzte sich Walther auf die Bettkante. Sie berührten einander nicht, redeten nicht, sahen sich im Überschwang ihrer widerstreitenden Gefühle einfach nur in die Augen. In ihnen kämpften Freude und Trauer, Liebe und Leid.
    Runa musste an ihre letzte Begegnung mit Johann Schinkel im Verlies denken. Augenblicklich verspürte sie ein so heftiges Brennen in ihrem Herzen, dass ihr die Tränen in die Augen traten. Vor ihr saß nicht Johann, sondern Walther – ihr Gemahl –, den sie trotz allem auf gewisse Weise liebte. Runa wollte Walther eine gute Frau sein, er verdiente es, doch die Sehnsucht nach ihrem Geliebten schnürte ihr nahezu die Luft ab. Sie würde endlich lernen müssen, ohne ihn zu leben.
    Walther hob seine Hand und wischte ihr mit dem Daumen die Tränen von den Wangen. Sein Gesicht blieb unbewegt, doch innerlich fühlte er sich völlig zerrissen. Während der Zeit auf der Burg Kiel hatte er versucht, seine Gefühle in seinem Herzen einzuschließen, um nicht wieder davon übermannt zu werden. In diesem Moment aber erwiesen sich all seine Bemühungen als vergebens. Worte aus der Bibel fielen ihm ein: Was denn Gott zusammengefüget hat, soll der Mensch nicht scheiden. Walther fragte sich, ob Gott nicht auch irren konnte. Waren sie wirklich füreinander bestimmt? Oder war Runa ihm bestimmt, doch er nicht Runa?
    Das bedeutungsschwere Schweigen der Eheleute wurde plötzlich durch kräftiges Geschrei gestört. Es war das Schreien eines Kindes, welches Kethe Mugghele in die Kammer trug.
    Walther stand langsam auf und ging zögerlich auf die beiden zu. Wie aus weiter Ferne drang Runas Stimme zu ihm: »Du hast einen Sohn, Walther von Sandstedt!« Ungelenk nahm er das kleine, schreiende Bündel entgegen und starrte auf das rote Gesichtchen. Er hatte einen Sohn, einen eigenen Sohn!
    »Wie soll er heißen?«, fragte Kethe mit einem Lächeln. »Das arme Kind hat noch immer keinen Namen.«
    Walther schaute zu Runa, die ihm zunickte und ihn so wissen ließ, dass er einen Namen auswählen sollte. Es war ihm ein Leichtes, den Jungen zu benennen – gab es doch nur einen Namen, der ihm wieder und wieder durch den Kopf ging.
    Nur mit Mühe gelang es ihm, seine aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Mit gepresster Stimme sprach er: »Ich nenne ihn Thido, nach dem besten Freund, den ich jemals hatte.«

EPILOG
    Während die Grafen die eigentliche St.-Veitsmarkts-Versammlung am heutigen Tage nachholten, da die jüngsten Ereignisse die ursprünglich geplanten Themen verdrängt hatten, machten sich Godeke und Albert gleich am nächsten Tag auf nach Eppendorf. Walther blieb bei Runa. Kethe, Ava, die Amme ihrer Kinder und Oda kümmerten sich um Thido.
    Als Vater und Sohn den Hof von Hildegard von Horborg erreichten, wurden all ihre Erwartungen an die anstehende Wiedersehensfreude weit übertroffen. Die Überraschung und die Freude über ihr unvermitteltes Erscheinen waren groß, ebenso groß wie der Schreck über die schockierenden Ereignisse der letzten Tage, die noch nicht bis Eppendorf vorgedrungen waren. Während Godeke und Albert berichteten, weinten die Frauen ohne Unterlass. Sie weinten vor Erleichterung, vor Freude, doch vor allem weinten sie um Thiderich.
    Am nächsten Morgen brachen sie alle gemeinsam auf nach Hamburg. Nun war es Hildegard, die weinte. Waren die Umstände des Besuchs auch furchtbar gewesen, hatte sie die Gesellschaft von Ragnhild, Marga, Margareta, Freyja und Thymmo sehr genossen. Sie würde sie vermissen, und wer konnte schon sagen, wann sie sich das nächste Mal in die Arme schließen konnten?
    Während der langsamen Fahrt durch den Wald saßen Albert und Ragnhild als Einzige in dem prächtigen Pferdewagen, den Willekin Aios ihnen zu diesem Zwecke überlassen hatte. Freyja und Thymmo hatten entschieden, bei ihrem Oheim auf dem Kutschbock zu sitzen, und Marga und Margareta wollten ein kleines Stück nebenherlaufen, um sich die Beine zu
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