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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn
Autoren: J Tan
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dass ich euch noch einmal sehen darf. Dies wird wohl unsere letzte Zusammenkunft sein.« Es war unüblich, dass Söhne und Töchter gleichzeitig zu ihrem sterbenden Vater gerufen wurden, doch der früher so hartherzige Graf schien mit den Jahren weich geworden zu sein. »Schaut euch nur um, die Reihen sind gelichtet. Sieben meiner elf Kinder habe ich schon überleben müssen, doch wenigstens ihr vier seid mir geblieben. Luitgard, Johann, Elisabeth, Albrecht, Bruno, Otto und Mechthild«, zählte der Vater mit trauergeschwängerter Stimme die Namen seiner verstorbenen Kinder auf. Sein Gedächtnis war nicht mehr das beste, doch diese Namen entfielen ihm niemals.
    Hedwig begann leise zu weinen. Auch wenn sie seit ihrem zwölften Lebensjahr mit König Magnus von Schweden verheiratet war und den Hof ihrer Eltern seither nur noch selten besucht hatte, schmerzten sie die Wahrheit und die Endgültigkeit der väterlichen Worte sehr.
    »Vater«, begann Gerhard II. weit gefestigter. »Gibt es etwas, das Ihr von uns verlangt, bevor Gott Euch an seine Seite ruft? Sagt es nur, und wir werden es gerne tun.« Diese Frage war eigentlich unnötig, da der Grund ihres Besuchs von vornherein klar gewesen war.
    »Mein Sohn, ich will euch etwas erzählen. Also hört mir zu.« Der Graf nahm einen Schluck Wein, bevor er weitersprach. Dann ließ er seine kehlige Stimme erklingen. »Euer Großvater, mein Vater, ist mir in den letzten Wochen unzählige Male im Traum erschienen. Ich sah ihn kämpfen – in seinen Schlachten bei Mölln und Bornhöved. Immer wieder trug er diesen einen Mantel über seiner Rüstung. Er war aus grüner Seide und wurde von seinem edelsteinbesetzten Fürspann zusammengehalten.« Während er das sagte, tippte er sich mit seiner rechten Hand gegen die Brust, genau dorthin, wo sich für gewöhnlich ein Fürspann befand.
    »Was sagt Euch dieser Traum, Vater?«, fragte sein Zweitgeborener, Adolf VI., mit wahrem Interesse.
    Der Graf schaute seinen Sohn an und grinste schmallippig. Es war bekannt, dass er etwas für Traumdeutungen übrig hatte. »Zunächst war ich nicht ganz sicher, doch dann ist mir die Botschaft klar geworden. Euer Großvater hatte niemals einen grünen Mantel besessen. Ich und meine Berater sind uns aus diesem Grunde einig, dass es also die Farbe Grün ist, welche von Bedeutung ist.«
    »Euer Scharfsinn ist bemerkenswert«, lobte Adolf VI., der sichtlich darauf brannte, mehr zu erfahren. »Doch was genau konnte Großvater damit gemeint haben?«
    »Mein Sohn, es bedarf vieler Jahre Erfahrung, um Botschaften aus Träumen zu lesen. Die Astrologie ist ein weites Feld. Wie ihr wisst, steht die Farbe Grün für Erneuerung und Liebe. Doch meint mein Vater nicht die Liebe eines Mannes zu den Weibern, sondern er meint die Liebe eines Herrschers zu seinem Volk. Nun, da mein Tod naht, soll ich dafür Sorge tragen, dass mein Reich unter einer neuen Herrschaft weiterblüht – geführt von meinen Söhnen, die mein Land regieren in brüderlicher Liebe.«
    Die drei Männer schwiegen. Auch wenn sich viele Herrscher dieser Methoden bedienten, war jene Deutung seines Traums für sie einfach zu weit hergeholt.
    »Ich verstehe nicht ganz, Vater«, warf der Erstgeborene ungeduldig ein.
    »Dann werde ich eben deutlicher. Die Itzehoer Linie wird nach meinem Ableben unter euch aufgeteilt. Doch ich werde euch mit Absicht nicht sagen, welcher Teil des Landes auf wen von euch fällt. Stattdessen bestimme ich bloß, auf welche Weise mein Reich geteilt wird. Es liegt dann an euch zu entscheiden, wo ihr euch in Zukunft niederlasst.« Der Graf ging über die verblüfften Gesichter seiner Söhne hinweg und fuhr unbeirrt fort: »Es wird die Grafschaft Holstein-Plön, Holstein-Pinneberg und Holstein-Rendsburg geben. Die Grenzen habe ich bereits in eine Karte einzeichnen lassen. Sie alle erbringen ungefähr dieselben Einkünfte. Entscheidet selbst, wer von euch welchen Teil erhält, und seid weise in eurer Entscheidung. Macht meinem Namen Ehre, und verhindert das Vergießen von brüderlichem Blut.« Nach dieser Verkündigung faltete er die Hände und nickte abschließend. Er wusste, was nun folgen würde.
    »Vater, das kannst du nicht verlangen. Warum teilst du das Land in drei gleiche Teile? Ich bin dein Erstgeborener, und ich sollte mehr Land bekommen als meine Brüder.« Gerhard II. gestikulierte wütend mit den Armen, um seinem Verdruss Ausdruck zu verleihen. Er dachte gar nicht daran, sich vor seinem Vater, geschweige denn vor seinen
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