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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn
Autoren: J Tan
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Hamburger. Er wusste, dass dieser Tag für alle Zeit mit dem Nesselblatt des Fürstenhauses verbunden sein würde. Gütiger Herr, bitte führe die Stadt durch die Zeit, die sie nun erwartet, flehte er innerlich.
    Bereits beim Durchqueren der Vorhalle konnte er die Ratsherren hören. Sie diskutierten wie immer laut und heftig. Nur einer von ihnen übertönte sie alle – Bürgermeister Willekin Aios. Als Johann Schinkel die Versammlungshalle betrat, hallten seine Schritte laut auf den gemusterten Tonfliesen, was alle zum Verstummen brachte. Die schweren grünen Vorhänge waren weit zurückgezogen und ließen buntes Licht durch die bemalten Fenster fallen. Alle Köpfe drehten sich ihm zu, als er durch die verzierte hölzerne Abtrennung des ratsherrlichen Geheges trat, in dem die Herren stets tagten.
    »Soeben hat mich ein Schreiben aus Itzehoe erreicht, meine Herren. Unser Stadtherr, Graf Gerhard I., ist tot. Ich befürchte, es kommen dunkle Zeiten auf uns zu.«
    Sofort setzte aufgebrachtes Gemurmel ein. Alle Anwesenden wussten, was diese Nachricht zu bedeuten hatte: Es würde einen Machtwechsel geben!
    Auch wenn Graf Gerhard I. stets als launischer und machthungriger Herrscher gegolten hatte, der sich wegen Auseinandersetzungen mit Lübeck und Fehden mit zahlreichen Adeligen schlecht um die Anliegen der Hamburger gekümmert hatte, war die Aussicht auf das Kommende fast noch schlimmer.
    Willekin Aios war der Erste, der das Wort an den Ratsnotar richtete. »Sagt uns, Schinkel, steht in dem Brief geschrieben, wie die Nachfolge geregelt ist?«
    »Nein, Bürgermeister. Und das deute ich als kein gutes Zeichen. Wäre die Nachfolge auf den Erstgeborenen, Gerhard II., übergegangen, wüssten wir es sicher schon. Wie es scheint, sind die Fürsten noch zu keiner Einigung gekommen. Doch nach meinem Dafürhalten ist es unwahrscheinlich, dass die drei Grafensöhne einem unter ihnen freiwillig den Vortritt gewähren werden.«
    Aios nickte betrübt.
    Der Ratsnotar sprach aus, was auch den übrigen Anwesenden nur allzu klar war: Im schlimmsten aller Fälle gedachten die drei Söhne Gerhards in Zukunft nebeneinander zu regieren. Schon jetzt gab es keine Einigkeit unter ihnen, und auch künftig schien es fast unmöglich, dass es einem der Brüder ohne Streit gelingen konnte, die alleinige Herrschaft über das väterliche Erbe zu erlangen. Obwohl der Erstgeborene Gerhard II. der Machthungrigste unter ihnen war, galten alle drei Söhne als ebenso gefallsüchtig wie ihr Vater, der die Stadt zu seiner Zeit stets mit hohen Kosten für Hochzeiten und Kriege geschröpft hatte. War es in der Vergangenheit schon schwer genug gewesen, Gerhard I. und seinen Neffen gleichermaßen zu dienen, so würde es noch schwerer werden, wenn die Grafschaft weiter zerfiel. Schon heute spaltete sich das Land in die Kieler Linie, die den beiden Söhnen von Gerhards Bruder Johann I. zustand, und die Itzehoer Linie, die Gerhard I. selbst zugestanden hatte. Auch Hamburg war von der Teilung betroffen, denn in den siebzehn Jahren, die seitdem vergangen waren, wurden die Einkünfte der Stadt in zwei Hälften geteilt – ein Teil ging an Gerhard I., der andere an die beiden Söhne des damals verstorbenen Grafen Johann I.
    Doch nun, nach Gerhards Tod, bestand die Möglichkeit, dass es zu einer weiteren Teilung kommen könnte – unter Umständen würde das Land sogar in fünf Teilfürstentümer zerfallen, deren Herrscher alle ein Stück Hamburg begehrten. Mit jedem neuen Herrscher ging die Gefahr einher, dass die Hamburger einen Teil ihrer hart erkämpften Selbstbestimmtheit einbüßten, sollte dieser versuchen, die Geschicke des Rates zu beschneiden. Alle Befürchtungen vor dem anstehenden Machtwechsel waren darum durchaus berechtigt.
    Die Aussicht auf derlei Probleme ließ den hitzköpfigen Kaufmann Henric Longhe vom hölzernen Ratsgestühl aufspringen. »Die neuen Grafen werden Hamburg gnadenlos ausbeuten. Es wird noch weit schlimmer kommen als unter ihrem Vater. Wir müssen die Stadt vor der Willkür der Schauenburger schützen! Der Rat ist den Bürgern Hamburgs verpflichtet.«
    Auch Olric Amedas stimmte in die wutgeschwängerten Reden mit ein. »Bei einer weiteren Landesteilung wird es außerdem zu einem Streit zwischen den Söhnen Johanns I. und Gerhards I. kommen. Wenn wir uns nicht endlich vom Grafenhaus abspalten, wird Hamburg zum Spielball der Schauenburger.«
    »Genau«, pflichtete Hartwic von Erteneborg ihm bei. »Jedermann weiß, dass Gerhard I. seine
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