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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn
Autoren: J Tan
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weitere. Wie so oft lachten sie auch heute wieder herzlich über die immer gleichen Dinge. Soeben ging es um eine Angelegenheit, welche die Frauen bereits seit über einem Jahr beschäftigte.
    »Bald ist es so weit, liebste Schwester«, neckte Runa die Jüngere mal wieder, die alsgleich die Augen verdrehte. »Sag schon, bist du aufgeregt, ihn kennenzulernen? Was denkst du, wie er sein wird? Sanft oder eher stolz, großzügig oder eher …?«
    »O Runa, nicht schon wieder«, gab Margareta leicht ungeduldig zurück. »Er wird sein, wie Gott ihn geschaffen hat, und es wird kommen, wie Gott es will. Du weißt genau, dass ich deine dreisten Fragen nicht beantworten kann, und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun.«
    Lachend warf Ragnhild ein: »Deine Geduld will ich haben, mein Schatz. Du wartest nun schon seit über einem Jahr auf deinen Zukünftigen. Wenn er nicht bald von seiner Reise heimkehrt, dann wirst du einen Krückstock brauchen, um vor den Altar zu treten.«
    Jetzt stimmte selbst Margareta in das Gelächter mit ein. Sie hatte sich eigentlich vorgenommen, jedes Gespräch über ihre bevorstehende Hochzeit zu meiden, doch es gelang ihr nie – nicht heute und nicht in der Vergangenheit. Es fiel ihr einfach schwer, sich gegen die Neckereien der beiden Frauen durchzusetzen, doch vielleicht war es auch besser so. Tatsächlich war es zwecklos zu leugnen, dass Margareta ihrer Hochzeit mit Hereward von Rokesberghe sehnsüchtig entgegenfieberte, und tatsächlich erschien ihr die Warterei auf den in Nowgorod weilenden Verlobten mit Scherz und Heiterkeit erträglicher. Margareta war Hereward schon seit einigen Jahren versprochen, doch als sie endlich das heiratsfähige Alter erreicht hatte, begann der Handelsmann seine Geschäfte im fernen Russland. Wo andere Kaufleute sich stets von ihren Nunciis vertreten ließen, machte sich Hereward jedes Mal selbst auf die Reise. In der Vergangenheit war er oft schwer beladen mit fremdartigen Waren heimgekehrt, dieses Mal jedoch hatte er eigens ein paar vielversprechende Sprachschüler an den Peterhof begleitet, damit sie in Zukunft seine Geschäfte in der Landessprache führen konnten. Er hatte schon vor Monaten zurück in Hamburg sein wollen, um Margareta zu heiraten, doch der harte russische Winter und der Handel hatten ihn bisher davon abgehalten. So blieb der Zwanzigjährigen nur übrig zu warten, den immer lauter werdenden Spott der verheirateten Hamburger Damen zu ertragen und über die nicht böse gemeinte Fragerei ihrer Stiefschwester und Stiefmutter zu lachen. Sie war ihnen nicht gram, denn sie liebte Runa und Ragnhild, als wären sie blutsverwandt; was sich auch stets in der Anrede bemerkbar machte.
    »Mutter?«, fragte Margareta mit einem gewissen Unterton, der vermuten ließ, dass sie etwas begehrte.
    »Ja, Liebes«, gab Ragnhild zurück, ohne von Runas Handarbeit aufzublicken, welche sie gerade bewundernd betrachtete.
    »Meinst du … ich meine, würdest du … mir dein Kleid für meine Hochzeit borgen? Das Kleid, das du zu deiner eigenen Hochzeit getragen hast?«
    Sofort ließ Ragnhild die bestickte Haube in den Schoß gleiten und schaute zu Margareta auf. Dann legte sie ihren Kopf schief und lächelte warmherzig. Sie wusste genau, dass Margareta sich ein eigenes, viel prächtigeres Kleid schneidern lassen konnte, wenn sie es denn wollte. Ragnhild verstand, dass es eine Geste sein sollte, ein Zeichen dafür, dass Margareta sie als Mutter schätzte, obwohl sie dies nicht war. »Aber natürlich gebe ich dir mein Kleid. Mit Freuden sogar. Du wirst wunderschön darin aussehen, Liebes.« Dann stand sie auf und schloss ihre Stieftochter in die Arme.
    Runa war ebenso gerührt wie ihre Mutter. Es gab keine Eifersucht zwischen den Stiefschwestern. Beide liebten sich aufrichtig. Bewegt von Margaretas Worten erstrahlte auch Runas Gesicht, die eifrig aufsprang und zur Tür stürmte. »Ha, ich gehe das Kleid gleich holen! Wollen wir doch mal sehen, ob es dir überhaupt passt.«
    Noch bevor Margareta protestieren konnte, war die Stiefschwester auch schon aus der Wohnstube verschwunden. Gerade wollte sie zur Kammer ihrer Eltern eilen, als sie Walther direkt in die Arme lief.
    »Runa, Liebling. Was treibt dich denn so zur Eile an?« Zärtlich nahm er seine Frau bei den Schultern und betrachtete sie lächelnd. Wie sehr er seine Frau doch liebte! Ihre Augen, ihr Haar, ihre Haut. Einem aufkeimenden Wunsch nach Nähe folgend zog er sie an sich, um sie zu küssen. Doch Runa
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