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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn
Autoren: J Tan
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Neffen stets übervorteilt hat, indem er ihnen ihr rechtmäßiges Erbe viel zu lange vorenthalten und in der Vergangenheit nicht einmal versucht hat, geeignete Eheverbindungen für sie auszuhandeln. Sie werden nun Rache nehmen wollen – und zwar an seinen drei Söhnen. Lösen wir uns ganz von unseren Landesherren, bevor die Stadt ein Teil ihrer Fehde wird, das ist mein Vorschlag!«
    »Jawohl!«
    »Freiheit von den Landesherren!«
    Fast alle bekundeten ihre Zustimmung. Die Forderung war gewagt, doch der Wunsch nach Unabhängigkeit gärte bereits viel zu lange in den Köpfen der Anwesenden, als dass dieser nun noch zurückzuhalten gewesen wäre. Was in den letzten Jahren schleichend begonnen hatte, wurde an diesem Tag zu einem festen Entschluss der klügsten Köpfe der Stadt. Hamburg sollte die absolute Unabhängigkeit erlangen!
    In der folgenden Stunde wurde ein Plan zur Entmachtung der gräflichen Beamten geboren, und als das letzte Wort gesprochen war, begann einer der Ratsherren als Ausdruck seiner Zustimmung rhythmisch mit der Faust auf den Tisch zu pochen. Schnell gesellte sich eine weitere Faust hinzu, dann noch eine und noch eine. Bald waren das Gehege, die Versammlungshalle und alle Kammern des Hauses erfüllt von dem Hämmern der Ratsherren. Das Gepolter hallte laut durch alle Flure bis nach draußen, wo es mit dem Klopfen der Steinmetze verschmolz.
    Als Johann Schinkel das Rathaus in der abendlichen Dämmerung verließ, war auch er erfüllt von dem Tatendrang der Ratsmitglieder. Der Zeitpunkt war gekommen. Es gab keinen Weg zurück, nur noch einen nach vorne. Tief in sich verspürte er die Gewissheit, es könne dem Rat tatsächlich gelingen, sich vom Grafenhaus zu lösen. Auch wenn der Weg dahin beschwerlich sein würde und die endgültige Freiheit von den Landesherren noch in weiter Ferne lag, war er zuversichtlich. Sie mussten es einfach schaffen! Nur sie als Ratsherren hatten die Macht dazu. Sollten sie scheitern, wäre Hamburg der unbändigen Ausbeutung ihrer neuen Herrscher und somit seinem sicheren Untergang geweiht.
    Ragnhild saß auf einem gemütlichen Sessel in ihrer Wohnstube und betrachtete ihre Tochter Runa und ihre Stieftochter Margareta beim Sticken. Wie sehr sie es doch genoss, diese Handarbeit nur noch selten ausüben zu müssen! Ungern erinnerte sie sich an eine Zeit, da sie mit ihrem Schwager Conrad und dessen Frau Luburgis unter einem Dach gewohnt hatte. Damals war es ihrer herrschsüchtigen Schwägerin eine wahre Freude gewesen, dabei zuzusehen, wie sich Ragnhild beim Sticken quälte. Sie besaß einfach nicht die nötige Fingerfertigkeit für diese Arbeit. Umso mehr wunderte sie sich darüber, wie flink ihre Tochter mit der Sticknadel umging. Liebevoll blickte sie zu ihr hinüber.
    Runa war wieder schwanger, doch man sah es bisher kaum. Es sollte bereits ihr drittes Kind sein, und Ragnhild konnte es kaum erwarten. Doch auch wenn sie es liebte, Großmutter zu sein, fürchtete sie sich schon jetzt vor dem Tag der Niederkunft.
    Bereits kurz nach der Hochzeit mit Walther hatte Runa verkündet, dass sie schwanger sei. Nur neun Monate später wurde Thymmo nach unendlichen Stunden und unter heftigen Schmerzen geboren. Er war genauso blond wie seine Eltern und mit seinen fünf Jahren schon ein kluger Bursche. Nur ein Jahr später bekam er eine Schwester, und genauso wie Runa und Ragnhild sollte dieses Mädchen einen dänischen Namen tragen. Freyja war der ganze Stolz ihrer Eltern. Das Wesen von Mutter und Tochter war so auffallend ähnlich, dass man nicht umhin kam, sich über Freyjas kastanienbraune Haare und bernsteinfarbene Augen zu wundern, die so gar nicht ins Bild passen wollten.
    Wie immer, wenn die drei Frauen sich am Freitag trafen, waren die beiden Kinder in Windeseile verschwunden. Es bestand kein Zweifel über ihren Verbleib – Marga war ihre liebste Spielgefährtin, und auch die Magd liebte die Kinder, als wären es ihre eigenen. Sie selbst war mit ihren fünfunddreißig Jahren noch immer unverheiratet. Trotz ihrer Liebe zu Kindern hatte sie niemals einen Mann haben wollen. Sie schätzte sich glücklich, im Hause von Ragnhild und Albert von Holdenstede dienen zu dürfen. Hier fühlte sie sich zu Hause; nirgendwo anders wollte sie sein. Während sie den Kindern in der Küche eine Geschichte erzählte, ertönte im oberen Teil des Hauses lautes Geschnatter, das in alle Kammern drang. Obwohl die Frauen nur zu dritt in Ragnhilds Wohnstube waren, lärmten sie mindestens für drei
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