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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn
Autoren: J Tan
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wird mein letzter Befehl an dich sein, treuer Freund.«
    »Und ich werde ihn ausführen, Herr. Auch wenn es mein Leben kosten sollte!«

1
    Es war einer dieser sonnigen Wintertage, an denen fortwährend ein glitzernder Nebel aus kleinen Schneestäubchen in der Luft lag. Friedlich war es und still. Bis das Donnern von galoppierenden Hufen die Stille durchschnitt. Schnee stob auf und wurde weit in die Höhe gewirbelt, um von da aus tanzend zurück auf den Boden zu rieseln. Einen kurzen Augenblick später war der Reiter wieder verschwunden, und erneut wurde es ruhig auf dem Weg von Itzehoe nach Hamburg.
    Schon seit dem Morgengrauen war der Bote unterwegs. Der Weg war weit, doch er ritt ein schnelles Pferd und war ein guter Reiter. Wenn sich das Wetter hielt, konnte er die Strecke an einem Tag bewältigen. Er musste es einfach schaffen, denn seine Nachricht für den Hamburger Rat war zu wichtig, um sie auch nur einen Tag länger zurückzuhalten.
    Als er endlich das Stadttor vor sich sah, waren er und sein Pferd trotz der winterlichen Kälte nass geschwitzt. Der Mann ignorierte seine steifen Glieder und steuerte seinen schäumenden und schnaufenden Rappen gezielt in Richtung der Domkurien. Mit forschen Rufen bahnte er sich im Galopp einen Weg durch die schmalen Gassen.
    Hastig sprangen die Menschen zur Seite und drängten sich furchtsam an die Wände der schiefen Fachwerkhäuser, um den wirbelnden Hufen auszuweichen – wohl wissend, dass der Reiter nicht anhalten würde. Wo sich vor ihm die Menge teilte, schloss sie sich hinter ihm schimpfend wieder zusammen. Dennoch ließen alle den Reiter passieren. Nur ein einziger schwarz gewandeter Mann stand auf dem Weg wie ein Baum.
    Erst als sie fast zusammenstießen, sah der Bote, wen er vor sich hatte. Hastig griff er die Zügel nach und zerrte daran, bis sein Wallach den Kopf nach hinten riss und erschrocken wieherte. Bloß eine Handbreit vor dem Mann kamen Pferd und Reiter zum Stehen. Noch im selben Moment nutzte der Bote den abrupten Schwung seines Rappen und sprang von dessen Rücken herunter. Gleich darauf fiel er vor dem Edlen auf die Knie in den Schnee; sei es aus Ehrerbietung oder aus Erschöpfung.
    Große Erleichterung überkam den Boten – er hatte sein Ziel erreicht. Gesenkten Hauptes übergab er dem Mann einen gesiegelten Brief mit dem Schauenburger Nesselblatt darauf. »Herr, ich wusste nicht, dass Ihr es seid. Bitte verzeiht, wenn ich Euch beschmutzt habe. Ich bringe wichtige Kunde aus Itzehoe.«
    Johann Schinkel erwiderte nichts darauf und nahm das beschriebene Pergament zur Hand. Er erkannte das Siegel der Landesherren sofort, was die Denkfalte zwischen seinen Augen noch vertiefte. An Ort und Stelle brach er das Wachs und überflog das Schreiben. Nach nur wenigen Zeilen wurde ihm die Wichtigkeit der Nachricht bewusst. »Heilige Mutter Gottes, es ist so weit …!« Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, hastete an der Petri-Kirche vorbei über den freien Platz in der Stadtmitte, der nur Berg genannt wurde, da er auf einer Anhöhe lag, Richtung Süden. Der Weg zum Rathaus war ihm so vertraut wie die Gänge im Mariendom, denn als Mitglied des Domkapitels und Ratsnotar der Stadt Hamburg war er in beiden Gebäuden gleichermaßen zu Hause. Von der Pelzerstraße bog er rechts in den Dornbusch ein und passierte die gräfliche Münze und das Eimbecksche Haus, welches vor dem großen Brand vor sechs Jahren noch das Rathaus gewesen war. Nun hatte Hamburg ein neues Rathaus, und nachdem er zwei weitere Straßen entlanggeeilt war, konnte er es bereits sehen.
    Gott selbst musste seine schützende Hand über dieses Haus gehalten haben, so schnell waren die Bauarbeiten vorangegangen. Noch war das mächtige Steingebäude nicht fertig, doch der Rat ließ es sich nicht nehmen, schon jetzt in seinem Inneren zu tagen. Normalerweise hielt auch Johann Schinkel stets an dieser Stelle der Straße inne, um das Rathaus jedes Mal aufs Neue zu bestaunen, doch heute hatte er keinen Sinn für die Schönheiten des Mauerwerks. Er sah nicht die bläulich schimmernden, großen Steine der Außenfassade oder die rechteckigen Zwillingsfenster mit ihren Kleeblattbögen. Wort- und grußlos schoss er an den eifrig werkelnden Bauarbeitern und Steinmetzen vorbei, mied jedes ihm bekannte Gesicht und schritt geradewegs durch das spitz zulaufende, links angeordnete Steinportal. Kurz bevor er es passierte, fiel sein Blick auf das in Stein gemeißelte Wappen der Schauenburger Grafen neben dem der
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