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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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nicht.
    ∗ ∗ ∗
    Unsere Mutter ist gut und gerecht. Man hat mir immer gesagt, daß die Halblinge, die geopfert werden, Verbrecher sind.
    Sie haben getötet, jemanden ausgeraubt oder irgendein Gesetz gebrochen. Sag mir, welches Gesetz Papagena gebrochen hat. Wem hat sie etwas Böses getan? Mutter hätte keine Gesetzesbrecherin an den Hof gebracht, um sie bei meinem Geburtstagsfest singen und tanzen zu lassen.«
    Kamala sagte: »Es ist nicht der Augenblick, um über Gesetze zu sprechen, Pamina. Was du sagst, trifft auf die Opfer für die Jahreszeiten zu. Aber hast du nicht gesehen, daß das Gesicht des Mondes heute blutbefleckt ist? In solchen schlimmen Zeiten sind alle Gesetze außer Kraft, denn der blutige Mond fordert unschuldiges Blut. Papagena wurde auserwählt. Geh beiseite, Pamina, wir wollen sie wegbringen, wie es befohlen wurde.«
    Pamina weigerte sich, die zitternde Papagena loszulassen, und Disa befahl zornig: »Laß sie los, oder man wird dich dazu zwingen!«
    »Nein!« Pamina schluchzte vor Angst, doch sie ließ das Vogel-Mädchen nicht los. Schließlich gab Disa ärgerlich und empört den Wachen ein Zeichen. Eine der Frauen packte Papagena mit beiden Händen, und eine andere näherte sich entschlossen Pamina, um sie mit Gewalt von Papagena zu trennen. Rawa knurrte drohend. Die Wächterin schrie plötzlich auf und trat heftig nach Rawa. Die Hunde-Frau stürzte zu Boden, war aber im nächsten Augenblick wieder auf den Beinen und schien nun zu allem entschlossen.
    »Wage es, Hand an die Prinzessin legen, und ich reiße dich in Stücke!«
    »Überlaßt das mir«, sagte Disa und richtete sich drohend hoch auf. Sie trat auf Pamina zu und bedeutete der Wächterin mit einer kurzen Kopfbewegung, beiseite zu gehen. »Wenn diese Hündin mich anrührt, wird ihr bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren gezogen, das weiß sie.« Sie zerrte Pamina von Papagena weg, während Rawa wütend knurrte und winselte. Pamina schluchzte vor Zorn und schlug nach ihrer Halbschwester.
    »Ich dulde es nicht. Ich habe es ihr versprochen. Was hat Papagena mit dem Mond zu tun?« Pamina war außer sich vor Wut und Schmerz.
    Schweigen herrschte plötzlich im Raum. Die Wächterinnen fielen ehrfürchtig auf die Knie. Auch Disa und Kamala ver-beugten sich tief, während Rawa entsetzt winselte und ängstlich wimmernd an die Wand zurückwich. Herrisch fragte die Sternenkönigin: »Was hat das alles zu bedeuten?«
    Nur Pamina fürchtete sich nicht. Sie lief zu ihrer Mutter und bat: »Laß nicht zu, daß sie Papagena opfern! Ich habe ihnen gesagt, du bist gütig und gerecht, und du wirst nie erlauben, daß ein unschuldiges Wesen leidet.«
    Die Sternenkönigin sah ihre jüngste Tochter mit einem flüchtigen, zärtlichen Lächeln an. »Hast du das gesagt, mein Liebes?« fragte sie.
    Die Königin der Nacht war eine große Frau, und in dem wallenden weiten Prozessionsgewand und dem hohen Kopfschmuck aus Eulenfedern wirkte sie noch größer. Sie hatte ein schmales, strenges Gesicht, und ihre glühenden Augen waren von einem Blau, wie man es nur im Zentrum der Flamme findet.
    »Du wirst nicht zulassen, daß sie Papagena wegbringen, Mutter!?«
    »Wenn du ihr versprochen hast, daß sie verschont bleibt, werde ich es nicht zulassen«, erklärte die Sternenkönigin.
    »Aber in Zukunft darfst du keine solchen Versprechen geben, ohne mich vorher zu fragen, Pamina. Du verstößt sonst gegen meine Hoheitsrechte, verstehst du?«
    Pamina nickte stumm.
    Die Königin warf einen Blick auf die Wächterin, die sich den Arm rieb, von dem immer noch Blut tropfte, und befahl:
    ∗ ∗ ∗
    »Geht alle. So etwas hätte nie geschehen dürfen, und nachdem es geschah, hätte es nie soweit kommen dürfen. Ich bin nicht zufrieden mit dir, Kamala«, fügte sie mit seidiger Stimme drohend hinzu, und ihre jüngere Tochter erzitterte. »Geh mit den Wächterinnen hinaus. Nein, Disa, du kannst bleiben. Papagena, deine kleine Herrin hat dir ein Versprechen gegeben. Sieh zu, daß du es ihr dankst, indem du ihr vom heutigen Tag an treu und ergeben dienst.«
    Papagena warf sich auf die Knie und rief: »Immer, Herrin!«
    Pamina fragte erregt: »Mutter, Mutter, warum… weshalb?… Du hast mir gesagt, daß nur jemand geopfert wird, der gegen ein Gesetz verstoßen hat. Disa behauptet, der rote Mond verlangt das Blut eines Unschuldigen. Warum? Was hat Papagena mit dem Mond zu tun?«
    Die Sternenkönigin sah sie ungeduldig an, und Pamina erschrak. Aber ihre Mutter erklärte
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