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Grrrimm (German Edition)

Grrrimm (German Edition)

Titel: Grrrimm (German Edition)
Autoren: Karen Duve
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Zwergenidyll

       
    s war mal wieder stockfinster, als wir nach Hause kamen. Grimbold hatte eine kleine Goldader entdeckt und uns ewig im Stollen herumkratzen lassen, weil er glaubte, die Ader müsste noch irgendwo weiterlaufen, aber wie üblich hatte er sich geirrt. Ich frage mich langsam, ob es wirklich ein kluger Brauch ist, wenn immer der Älteste und Verkalkteste in einer Gruppe das Sagen hat. Jedenfalls, wir kommen heim, und bei dem mickrigen Licht der Grubenlampen bemerken wir nicht gleich, dass außer uns noch jemand im Haus ist. Also setzen wir uns an den Tisch. Hungrig.
    »He«, sagt Bertil, »wieso ist mein Becher nur halb voll? Ist das jetzt die neueste Sitte, dass der, der am härtesten arbeitet, am wenigsten zu trinken kriegt?«
    Und »Verdammtnochmal«, ruft der Venetianer, »wer hat von meinem Brot abgebissen? Das ist doch eine Riesensauerei! Wer hatte eigentlich heute Morgen Tischdienst?«
    Hobo hatte Tischdienst, und das ist sein Pech, denn Leute, die gerade vierzehn Stunden unter Tage geschuftet haben, mögen es gar nicht, wenn ihr Abendbrot angefressen ist. Auf allen Tellern fehlt irgendetwas. Und jedes Mal was anderes. Bei mir ist es bloß ein Stück von der Schwarzwurzel. Damit kann ich leben; Wurzel ist sowieso nicht mein Fall. Aber bei Helmerich fehlt die halbe Dauerwurst, und der wird richtig sauer.
    Natürlich schwört Hobo Stein und Bein, dass er nichts genommen hat, und natürlich glauben wir ihm nicht, sondern hetzen ihn rund um den Tisch und dann zu den Betten. Dort erwische ich ihn und drehe ihm den Arm auf den Rücken, während Bertil ihm den Kopf auf eine Matratze drückt.
    »Ich schneid dir ein Ohr ab«, brüllt Helmerich und hat schon das Messer in der Hand, als Grimbold ruft:
    »Aufhören! Da liegt jemand!«
    Er hält seine Grubenlampe hoch und beleuchtet das siebte Bett, das als letztes ganz außen an der Wand steht. In dem Bett liegt tatsächlich ein Mädchen. Das Mädchen ist verteufelt schön, und wenn ich sage schön, dann meine ich richtig schön – also, da stimmte alles: Sie war ganz jung, wirklich sehr jung, lange schwarze Haare und schneeweiße Haut und ein Paar Lippen, bei denen man echt auf Gedanken kam. Außerdem hatte sie feine weiße Hände. Das sah man gleich, dass die noch nie gearbeitet hatte. Sie trug ein blaues und ziemlich schmutziges Kleid mit gelben Litzen und Borten. Und sie lag in meinem Bett. Das siebte Bett ist nämlich meines, nicht nur, weil ich als Letzter dazugekommen bin, sondern auch, weil es das längste ist. Mit einem Meter zweiundvierzig bin ich der Größte von uns sieben. Eigentlich kann man mich kaum noch als Zwerg bezeichnen. Jedenfalls, die kleine Idiotin liegt in meinem Bett und starrt uns so schreckerfüllt an, als hätte sie nie und nimmer damit gerechnet, dass in einem Haus, in dem der Tisch gedeckt und der Wein bereits eingeschenkt ist, irgendwann womöglich auch die Bewohner eintrudeln könnten. Sie fleht uns an, ihr nichts zu tun, und ich weise bei der Gelegenheit die anderen darauf hin, dass es immerhin mein Bett ist, in dem wir sie gefunden haben. Leider muss Grimbold gerade jetzt wieder den Anführer raushängen lassen.
    »Fürchte dich nicht, du liebes Mädchen«, sagt er mit seiner weinerlichen Altmännerstimme. »Bei uns wird dir nichts Böses geschehen. Aber sag, wie kommst du hierher?«
    Na, vor dem alten Tattergreis brauchte sie sich ganz bestimmt nicht zu fürchten. Jedenfalls, das Mädchen erzählt, dass es sich im Wald verlaufen und schließlich unser Häuschen gefunden hat. Sie sagt tatsächlich »Häuschen«. Geht’s noch? Ich meine, wir wissen schon, dass wir klein sind, und dass das hier nicht gerade ein Palast ist. Muss sie es uns auch noch unter die Nase reiben?
    »Wie heißt du denn, und wo wohnst du, mein armes Kind«, greint Grimbold. Er hat sich neben sie gesetzt und ihre Hände in seine genommen. Das Kind heißt Schneewittchen. Und dann behauptet sie doch ohne mit der Wimper zu zucken, sie sei eine Königstochter. Ich muss laut lachen, aber die anderen funkeln mich sofort strafend an. Die können es gar nicht abwarten, sich von ihr einwickeln zu lassen.
    »Ja, eine Königstochter«, fährt das Schneewittchen unbeirrt fort, und ihre Stiefmutter hätte den Hofjäger beauftragt, sie in den Wald zu führen und dort abzustechen. Der hätte aber Mitleid gehabt und sie laufen lassen.
    Respekt! Die Geschichte muss sich erst mal einer einfallen lassen.
    Bickerl und der Venetianer schütteln auch ganz betroffen die
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