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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Gewänder für Nachtprozessionen vorbereitet?«
    »Ich hatte keine Anweisungen«, erwiderte Rawa unterwür-fig. Doch Disa gefiel diese Antwort nicht. Sie zischte: »Dummer Halbling«, und schlug Rawa ins Gesicht.
    »Es läßt sich nicht ändern. Ich muß dir eben eines meiner Gewänder bringen, Pamina. Es wird dir zu lang sein, aber du kannst es in der Taille über den Gürtel ziehen. Es ist ja dunkel, und sie wird an andere Dinge denken müssen. Vielleicht wird unsere Mutter nichts bemerken… wenn du großes Glück hast«, fügte Disa so drohend hinzu, daß Pamina ebenso zitterte wie Rawa. Ohne darauf zu achten, eilte Disa davon, drehte sich jedoch noch einmal um und rief böse:
    »Und du, Rawa, bist wohl schon zu lange bei deiner Herrin und hältst deine Stellung als königliche Amme für allzu selbstverständlich. Vielleicht wirst du dich als Rattenfängerin in den Ställen wieder an die geziemende Bescheidenheit erinnern.«
    Disa verließ das Gemach. Pamina lief zu Rawa und umarmte sie. Der weiche Körper der Hunde-Frau zitterte. »Weine nicht, Rawa, ich werde mit meiner Mutter sprechen.
    Sie weiß, wie sehr ich dich brauche und wird nicht zulassen, daß man dich wegbringt«, versuchte Pamina sie zu trösten.
    Aber sie war sich ihrer Sache nicht sicher. Ihre Mutter hatte so viele Pflichten und Aufgaben, und sie überließ alle Geschäfte des Palasts, den die vier Prinzessinnen bewohnten, Monat für Monat in Disas Händen. Disa konnte ihre Drohung sehr wohl verwirklichen, ehe Pamina Gelegenheit hatte, mit der Königin darüber zu sprechen.
    Rawa war vermutlich nicht intelligent genug, um das alles sofort zu begreifen, doch der Zweifel in Paminas Stimme entging ihr nicht. Sie stieß ein leises Winseln hervor und klammerte sich an das Mädchen. Doch im nächsten Augenblick löste sie sich und schnüffelte laut. Pamina kannte Rawa so gut wie sich selbst und reagierte augenblicklich.
    »Was ist los, Rawa? Was gibt es? Ist jemand hier?«
    Rawa winselte lediglich und schnupperte in den Ecken des Zimmers. Dann sprang sie mit kleinen Sätzen zum Balkon, bellte laut und stürzte sich auf etwas. Man hörte einen spitzen Schrei, und Pamina rief: »Was hast du da, Rawa? Zeig es mir sofort! Du unartiges Mädchen.«
    Die Hunde-Frau knurrte nur zwischen den Zähnen hindurch: »Pfui! pfui! Sie gehört nicht hierher, nein, sie gehört nicht hierher«, und schleppte ihren Fang in das Gemach. Pamina lief schnell zu ihr, um die zierliche Gestalt eines Halblings zu betrachten, den Rawa in den Pfoten hielt.
    Der Halbling war nicht größer als Pamina. Es war ein Mädchen in einem leichten grünen Kleid, das kaum die langen, dünnen Glieder bedeckte, die so zart wirkten, daß sie unter Rawas festem Griff zu zerbrechen drohten. Sie hatte einen Schöpf leuchtend roter und gelber Haare, die wie Federn wirkten und seidig schimmernd Nacken und Schultern umgaben. Ihr Gesicht war vor Entsetzen verzerrt, aber Pamina erkannte sie. Man hatte den Vogel-Halbling aus der Stadt heraufgebracht, um auf Paminas Geburtstagsfeier für sie zu singen und zu tanzen.
    »Laß sie los, Rawa. Auf der Stelle!« fügte sie schnell hinzu, als die Hunde-Frau leise knurrte. Nur zögernd gab Rawa das Vogel-Mädchen frei, das sich angstvoll piepsend aufrichtete.
    »Papagena«, sagte Pamina und ging einen Schritt auf das Vogel-Mädchen zu. »Was tust du hier? Nein, Rawa, ich habe dir gesagt, du sollst sie in Ruhe lassen. Sie kann mir nichts tun, selbst wenn sie es wollte. Und schon gar nicht, wenn du bei mir bist. Außerdem würde sie mir nichts tun, nicht wahr, Papagena?«
    ∗ ∗ ∗
    Das Vogel-Mädchen zitterte vor Entsetzen am ganzen Körper. Rawa ließ sie los und zog sich zurück.
    Papagena richtete sich auf.
    »Prinzessin, Ihr seid so freundlich zu mir gewesen. Als sie kamen, um mich für das Opfer zu holen, habe ich mich an Euch erinnert und bin hierher gelaufen… Laßt nicht zu, daß sie mich holen! Laßt nicht zu, daß sie mich wegbringen und töten, bitte nicht…«
    Winselnd wich Rawa noch weiter zurück.
    »Herrin! Herrin, schickt sie weg, oder wir werden es alle zu büßen haben… es ist nicht erlaubt, sich in das Opfer einzumischen, und ich rieche den Weihrauch an ihr… sie riecht nach Tod! Schickt sie weg!«
    »Ruhig, Rawa«, befahl Pamina, obwohl sie innerlich bebte.
    Sie hätte es wissen müssen, diese Nacht roch nach Tod. Über den Mond floß Blut, und in den Straßen klagten die Leute.
    Sie wußte von den Opfern, hatte sie noch nie zuvor in
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