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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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ruhig: »Nichts, mein Kind.
    Doch wenn der Mond sich wie heute blutrot färbt, erschrek-ken die Unwissenden. Sie geraten außer sich und verlangen ein Opfer. Wir geben es ihnen, denn dadurch wendet sich ihre Raserei nicht gegen ihre Priester und Herrscher. Die Unwissenden glauben auch, daß sich solche Dinge wegen ihrer Sünden ereignen. Wenn wir ihnen ein Opfer geben, können sie alle eingebildeten Sünden vergessen, die sie belasten, und ihr Leben nimmt wieder seinen gewohnten Gang.«
    »Wie schrecklich«, flüsterte Pamina.
    »Ja, das ist es, mein Kind. Aber sei dankbar, daß du heute und nicht vor tausend Jahren lebst. Damals konnte nur der Tod einer Tochter der Sternenkönigin Schuld und Angst von ihnen nehmen, wenn sich der Mond so blutrot färbte, oder die Sonne sich am hellen Tag verdunkelte.«
    Pamina erschauerte, denn das Gesicht ihrer Mutter wirkte wieder streng und unnahbar.
    »Pamina, du hast große Unruhe heraufbeschworen, und deinetwegen komme ich spät zur Prozession. Disa, du bist nicht ganz unschuldig daran. Vielleicht trägst du nicht allein die Schuld, denn wir glaubten beide, Pamina sei alt genug, um dem Opfer beizuwohnen. Sie hat selbst bewiesen, daß sie noch zu jung ist, und als Strafe darf sie nicht an der Prozession teilnehmen. Du gehst sofort zu Bett, Pamina. Papagena wird bei dir bleiben.«
    »Mutter…«, rief Pamina flehend, als die Königin sich mit großen Schritten der Tür näherte. Sie drehte sich rasch um, und Pamina sah erschrocken die Ungeduld, die ihr Gesicht verdunkelte.
    »Was gibt es noch?«
    »Mutter, laß nicht zu, daß man Rawa als Rattenfängerin in die Ställe schickt. Sie wäre dort so unglücklich.«
    Die Sternenkönigin antwortete lächelnd: »Ich verspreche dir, Rawa wird nicht in die Ställe gehen.« Noch Jahre später erstarrte Pamina in stummem Entsetzen, wenn sie an dieses Lächeln dachte. Aber die Stimme der Königin klang weich, und Pamina glaubte, sie habe sich diesen Blick eingebildet.
    »Geh nun sofort zu Bett, mein Kind.«
    Sie sah Rawa nie wieder.
     
    Zweites Kapitel
    Die Wüste lag nackt und kahl vor ihm; nur am fernen Horizont hoben sich ein paar niedrige Büsche ab. Und weit weg, so weit, daß ihm die Augen schmerzten, wenn er versuchte, genaueres zu sehen, konnte er ein paar flache Hügel erkennen und verschwommene Umrisse, die Gebäude sein mochten.
    Warum, so fragte sich Tamino, nannte man diese einsame Wildnis das Land der Wandlungen? Es wäre sehr viel genauer und passender gewesen, sie das Unwandelbare Land zu nennen.
    Er war inzwischen fast einen ganzen Monat unterwegs. Bei seinem Aufbruch war der Mond voll gewesen, und jetzt stieg er wieder als blasse runde Scheibe am Rand der Nacht auf.
    Tamino wußte immer noch nicht, ob sein Ziel in Sicht war.
    Er blickte zum blassen Mondgesicht auf und ihm fiel ein, daß er seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen hatte. Tamino setzte sein Bündel ab und suchte darin herum. Nur noch wenig war von den Vorräten geblieben, mit denen er auf-gebrochen war: ein paar getrocknete Früchte, ein Stück getrocknetes Fleisch – kärgliche Reste der letzten Jagd unterwegs. Es war ein kleines Wüstentier gewesen, nicht viel größer als ein Hörnchen, doch sehr viel anders als alle Hörnchen, die er in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte.
    Vielleicht gelang es ihm, morgen wieder etwas zu erlegen wenn in dieser endlosen Einsamkeit überhaupt Tiere lebten…
    Vorsichtig löste er den Wasserschlauch von der Hüfte.
    ∗ ∗ ∗
    Spätestens morgen würde er auch wieder Wasser brauchen. Er dachte kurz daran, ein Feuer anzuzünden, um sich nicht so einsam zu fühlen. In der verlassenen, schweigenden Wüste würden selbst Funken einen erfreulichen Anblick bieten.
    Aber es gab nur wenig Brennbares, nur die trockenen und verholzten Stengel kahler Pflanzen. So trocken und abwei-send sie auch wirkten, waren sie doch das einzige Zeichen von Leben weit und breit, und Tamino zögerte, ihnen ohne echte Notwendigkeit das bißchen Leben zu nehmen, das sie besaßen. Also würde er heute abend im Dunkeln sitzen.
    Er trank ein paar Schlucke Wasser und kaute nachdenklich die getrockneten Früchte.
    Vor einem Jahr… vor einem Monat noch hätte er nicht geglaubt, daß er sich an einem solchen Ort wiederfinden wür-de. Tamino hüllte sich in seinen zerschlissenen Reisemantel-vor nicht allzu langer Zeit war er noch schön und prächtig gewesen. Aber inzwischen diente er ihm als Decke, Kleidung und Schutz bei jedem Wetter, und er war
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