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Titan 03

Titan 03

Titel: Titan 03
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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sich genausogut verbergen konnte wie die Röte der Scham oder Verlegenheit. Sie konnte die Worte sehen, doch hören konnte sie sie nicht; sie wußte selbst nicht, ob sie laut sprach oder ob die Lippenbewegungen im Spiegel bloß ein stummes Echo ihres Vorsatzes waren.
    Er hörte jedenfalls nichts. Im Spiegel konnte sie auch ihn sehen, seinen abgewandten Kopf, sein Gesicht, das zum Fenster hinausblickte und das metallene Ungeheuer draußen auf der Betonfläche betrachtete, das dort wartete, sprungbereit.
    Er weiß nicht mal, daß ich da bin.
    Der Gedanke war voll Bitterkeit und verschaffte ihr eine perverse Befriedigung. Sie schluckte zu heißen Kaffee und beobachtete über den Tassenrand hinweg die vertrauten Konturen seiner Schultern und des leicht zurückgelegten Kopfes.
    »Ich glaube, ich sollte es dir jetzt sagen«, sagte sie wieder, und diesmal wußte sie, daß sie es nicht bloß dachte. »Es hat keinen Zweck, noch länger zu warten«, sagte sie und sah, wie er anfing, sich widerwillig nach ihr umzudrehen.
    »Sicher, Sue. Was gibt es?«
    Sie kannte die unterdrückte Ungeduld dieses Tons, wie sie jede Nuance in der Klangfarbe seiner Stimme kannte. Sein Gesicht war im Profil, und sie sah die vorgeschobene Festigkeit der Unterlippe, die die Feinfühligkeit der oberen vollständig verbergen konnte; die stur zusammengebissenen Kiefer, die einen vergessen machten, wie leicht Unruhe oder Verdrießlichkeit seine Stirn runzeln konnte. Sie wußte auch, was jetzt in seinen Augen war, obwohl sie es nicht sah: eine geduldige Zärtlichkeit, die nicht ganz ausreichte, das gereizte Funkeln zu überdecken.
    »Was gibt es, Sue?« fragte er wieder. »Was hast du?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Trink deinen Kaffee«, sagte sie mit lächerlich wirkender Fraulichkeit. »Auf dem Mars wirst du keinen kriegen, weißt du.«
    »Hah?« Er schüttelte benommen den Kopf und blickte verdutzt auf die Kaffeetasse; dann nahm er sie auf, nippte gleichsam symbolisch davon, um ihr den Gefallen zu tun; schließlich stellte er sie zurück und blickte wieder aus dem Fenster.
    Draußen war es plötzlich hell geworden, und auch sie wandte den Kopf und blickte ihm über die Schulter, während die Scheinwerfer aufstrahlten und das metallene Ungetüm beleuchteten. Sie blickte den Mann an und an ihm vorbei zu dem Gestalt gewordenen Traum draußen, versuchte zu sehen, was er sah und den gleichen Zauber zu fühlen. Aber der Traum war sein. Er war nicht länger der ihre; sie hatte nicht einmal daran teil.
    Bei der Startrampe verluden Arbeiter mit einem Stapler die letzten Kisten in den Aufzug, der sie zur Ladeluke im oberen Drittel der gigantischen Rakete tragen sollte. Die Männer verständigten sich mit Rufen und ausholenden Gebärden, und die beiden, Mann und Frau, beobachteten gemeinsam die Szene. Es schien unmöglich, daß er hier neben ihr sitzen konnte, kaum eine Armeslänge entfernt, und doch nicht wußte, wie weit sie sich bereits voneinander entfernt hatten. Er war wie hypnotisiert, gebannt von den Bewegungen des Arbeitertrupps und den Lichtkegeln der Scheinwerfer dort draußen.
    Er starrte aus dem Fenster, ohne zu denken oder zu fühlen. Er wollte nicht wirklich wissen, was sie zu sagen hatte. Was es auch war, es war nichts. Nichts von Bedeutung. Die Rakete war Beweis genug dafür: ein Symbol für den Triumph der Richtigkeit; ein silbrig schimmernder Turm, der im Morgengrauen auf feurigem Strahl himmelwärts donnern und einige hundert menschliche Staubkörner durch die Schwärze des Weltraums zum Mars tragen würde. Hauptsächlich junge Ehepaare wie Sue und ihn, gesunde, tüchtige Männer und Frauen, unter vielen Bewerbern ausgewählt und sorgfältig vorbereitet; Männer und Frauen mit Muskelkraft, praktischem Verstand und Mut, wie sie gebraucht wurden, um eine neue Welt zu kolonisieren.
    Er hatte sein ganzes Leben damit verbracht, sich auf dieses Ereignis vorzubereiten. Sein ganzes Leben, und die letzten fünf Jahre gemeinsam mit Sue. Sie hatte es genauso gewollt wie er…
    Hatte sie wirklich?
    Er fühlte ihren Blick auf sich ruhen und widerstand nicht ohne Mühe dem Impuls, sich zu ihr umzuwenden. Sie hatte Angst, das war alles. Eine verständliche und natürliche Reaktion, so kurz vor dem entscheidenden Augenblick. Für eine Frau war es schwieriger als für einen wie ihn. Er wußte, was sie dachte, und es hatte keinen Sinn, noch einmal davon anzufangen. Sie würde bald sehen, daß es nicht so schlimm war, wie sie es sich in ihren Angstträumen
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