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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Henry Winterfeld
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hatte. Ich hatte grässliche Angst, dass Thomas verlieren könnte. Oskar ist sicherlich stärker als er. Aber Thomas ist klüger. Und so schnell wie ein Raubtier.
    Jetzt wälzten sie sich beide im Sand. Einmal war Oskar oben, einmal Thomas. Dann standen sie wieder und rangen miteinander. An der Wand zappelten ihre riesigen Schatten wild hin und her.
    »Oskar! Oskar! Stell ihm doch ein Bein!«, riefen mehrere Jungen. Das war gemein. Plötzlich hatte Thomas den blutigen Oskar im Schwitzkasten. Oskar war machtlos und schlug mit den Füßen um sich. Hannes und Willi wurden mit einem Mal lebendig und schlichen sich von hinten an Thomas heran.
    »Achtung, Thomas!«, schrie ich gellend.
    Thomas drehte sich blitzschnell um. Er sah die beiden und trat nach der Kiste. Die Kiste fiel um, die Kerzen flogen in den Sand. Mit einem Schlag wurde es finster. Ich hörte nur noch einen Schmerzensschrei von Willi:
    »Au, mein Bauch!«
    Vielleicht war ihm jemand draufgetreten. Ich gönnte es ihm.
    Jetzt musste ich aber Thomas irgendwie aus dem Hexenkessel rauskriegen. Meinen Platz durfte ich nicht verlassen. Ich hätte gegen die Übermacht auch gar nichts ausrichten können. Da kam mir eine Idee. Ich hämmerte mit dem Schuhabsatz gegen die Tür hinter mir und schrie so laut ich konnte:
    »Die Eltern kommen!!«
    Einen Augenblick wurde es still. Dann setzte ein Kreischen und Toben, ein Poltern und Füßescharren ein, als ob eine Büffelherde auseinanderstürmte. Plötzlich war Thomas neben mir.
    »Komm!«, keuchte er und packte mich bei der Hand. Wir rannten in den Garten, kletterten über den Zaun und liefen über das Feld zur »Stiege«.
    Wir verschnauften erst, als wir wieder im Schuhmacherladen waren. Thomas ließ sich erschöpft auf einen Schemel fallen.
    »Uff!«, sagte er und rieb sich eine Beule auf der Stirn. Ich nahm meine Brille ab und putzte sie.
    »Thomas«, sagte ich, »denen hast du’s aber gegeben!«
    »Ich hab’ auch genug abbekommen«, erwiderte er und betastete argwöhnisch seine Nase. Sie schwoll unheimlich rasch an.
    »Mach dir nichts draus!«, tröstete ich ihn. »Du bist ein Held!« Ich reichte ihm meine Hand. Er übersah sie. Thomas liebt keine Gefühlsduseleien. Er tut seine Pflicht und dann Schwamm drüber.
    »Geheimrat«, sagte er, »deine Idee war fabelhaft. Wenn du nicht plötzlich geschrien hättest: ›Die Eltern kommen!‹, wäre ich jetzt vielleicht nicht mehr ganz!« Er lachte.
    »Unsinn«, erwiderte ich, »ich hätte dir lieber helfen sollen!«
    »Befehl ist Befehl!«, brummte Thomas. »Dir hätten sie doch nur die Brille eingeklopft. Dein Alter kauft dir bestimmt keine neue mehr!«
    Wir lachten beide.
    Plötzlich standen Herr und Frau Wank in der Tür. Thomas und ich sprangen auf. Die Eltern –!
    Herr Wank ist ein großer, hagerer Mann. Er geht leicht gebückt. Er hat einen mächtigen Schnauzbart und trägt eine Brille, über die er beim Sprechen hinwegsieht. Frau Wank ist klein und rundlich. Sie kann sehr viel und sehr rasch reden. Sie hat mir einmal in fünf Minuten eine Geschichte erzählt, zu der ich drei Stunden gebraucht hätte. Außerdem habe ich kein Wort verstanden.
    Jetzt war sie ganz stumm. Sie ging an uns vorbei, ohne uns zu beachten. »Schönen guten Abend!«, sagte ich.
    Aber Frau Wank antwortete gar nicht. Sie verschwand merkwürdig rasch in der Wohnungstür.
    Herr Wank sagte auch nichts. Er wackelte nur ein paarmal mit dem Kopf und blickte uns trübsinnig an. Dann kraulte er sich hinter dem Ohr, seufzte tief und ging hinter seiner Frau her.
    Thomas und ich standen wie die Ölgötzen im Laden. Wir sahen uns verblüfft an.
    »Dicke Luft«, sagte Thomas.
    »Und ich dachte, du bekommst Ärger«, sagte ich.
    »Hast dich wohl schon gefreut?«, fragte Thomas spitz. »Ich bin doch auch noch dran«, erwiderte ich.
    »Mein Alter haut mich nie«, sagte er.
    »Meiner auch nicht«, stellte ich fest. »Aber diesmal ist es vielleicht allgemeiner Beschluss!«
    »Oder sie haben sich etwas anderes ausgeknobelt«, meinte Thomas.
    »Kann sein« , sagte ich.
    »Geheimrat, ich wittere Unrat«, prophezeite er.
    Er sollte Recht behalten.
    Später erfuhren wir, dass die Eltern der anderen Kinder sich genauso rätselhaft benahmen wie Herr und Frau Wank. Als die Piraten in Angst und Schrecken aus dem Tattersall geflohen waren, irrten sie noch lange durch die Gassen. Der blutige Oskar hatte sich mit ein paar Getreuen unsichtbar gemacht. Vielleicht kühlte er am Timpebach seine geschwollenen Augen.
    Die andern
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