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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Henry Winterfeld
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ironischem Ton mit uns. Es fällt uns immer furchtbar schwer, nicht zu lachen. Direktor Beese ist nämlich sehr klein. In den mittleren Klassen sind die Kinder viel größer als er. Das Komischste ist aber sein langer Vollbart. Der Direktor sieht aus wie einer von Schneewittchens sieben Zwergen. Wir nennen ihn »Federwischer«, weil man mit seinem Bart großartig die Schreibfedern abwischen könnte.
    Wenn Federwischer wütend ist, stellt er sich auf die Zehenspitzen, wobei er manchmal das Gleichgewicht verliert. Vielleicht will er uns dann durch seine »Größe« einschüchtern. Aber wir haben keine Angst vor ihm. Auch nicht vor seinem Bart.
    Wegen des dummen Streiches auf dem Geißmarkt hielt er uns eine lange Rede. Wir fanden sie viel schlimmer als die Überschwemmung. Natürlich kam zum Schluss gar nichts dabei heraus. Wir wussten zwar alle ganz genau, dass es jemand von den Piraten gewesen war, aber niemand wagte es, die Bande zu verpetzen.
    Ich petze grundsätzlich nicht. Thomas auch nicht. Wir halten das Petzen für unmoralisch.
    Ich hatte mit Thomas auf dem Nachhauseweg noch eine lange Unterhaltung deswegen. Er meinte, dass es jetzt eigentlich höchste Eisenbahn sei, die Piraten unschädlich zu machen.
    »Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen«, sagte er zu mir. »Sonst sitzen wir eines Tages alle in der Patsche.«
    »Mit Oskar ist nicht gut Kirschen essen«, sagte ich.
    »Ich werde schon mit ihm fertig werden«, erwiderte Thomas ganz ruhig.
    Thomas hat nie Angst. Er ist der fabelhafteste Junge, den ich je kennengelernt habe. Er ist so alt wie ich. Dreizehn Jahre, groß, aber sehr schlank. Man sieht es ihm nicht an, dass er gewaltige Kräfte hat. Er treibt auch viel Sport und ist sehr gewandt. Er hat sogar Jungen, die viel älter sind als er, beim Ringen oder im Boxkampf besiegt. Aber Thomas ist kein Raufbold. Er prügelt sich nicht gern. Stänkereien geht er aus dem Wege. Doch wenn er angegriffen wird, gibt’s Kleinholz. Ich war einmal dabei, als Thomas sich mit einem Bauernburschen schlug. Der Kerl hatte sein Pferd auf das niederträchtigste misshandelt. Er war betrunken. Thomas riss ihm die Peitsche aus der Hand und schlug sie ihm um die Ohren. Es war ein furchtbarer Kampf. Ich wollte ihm selbstverständlich helfen, doch kam ich gar nicht dazu. Thomas sprang seinem Gegner wie ein Panther an die Kehle. Sie fielen beide hin, aber Thomas war gleich obenauf und haute auf den Kerl ein, als ob der ein Sandsack wäre.
    Normalerweise ist er aber sehr freundlich und gutmütig. Er kann auch sehr vergnügt sein. Aber meistens ist er eher ernst. Sein Vater ist Schuhmachermeister. Thomas muss in seinen freien Stunden immer mithelfen. Sie wohnen beim alten Stadttor in einer ganz kleinen Gasse, »Die Stiege« genannt. Vom Geißmarkt sind es fünf Minuten.
    Damals begleitete ich Thomas nach Hause. Wir redeten noch viel über die Piraten und ihre Unverschämtheiten. Wir hatten noch keine Ahnung, dass die tollen Ereignisse in Timpetill uns bald dazu zwingen würden, gründlich mit der Bande abzurechnen. Thomas hatte schon recht gehabt, als er sagte, wir würden alle irgendwann in der Patsche sitzen.
    Ich hatte mir bisher eigentlich keine Gedanken über Oskars Bande gemacht. Ich ging ihr aus dem Wege und hatte auch nicht viel Zeit, mich mit den Piraten zu beschäftigen. Ich bemühte mich, in der Schule recht fleißig zu sein, da ich gerne auf die Oberrealschule in Kollersheim wollte. Ich will nämlich Ingenieur werden. Oder Erfinder. Mein Vater schenkt mir immer Bücher über Erfindungen und Entdeckungen. Ich habe schon eine ziemlich große technische Bibliothek, auf die ich sehr stolz bin. Die meisten Bücher kann ich beinahe auswendig. Ich habe jedes Buch zehnmal gelesen. Meine Freunde nennen mich »Geheimrat«, weil ich eine Brille trage. Die Piraten rufen mir »Streber« hinterher. Aber das bin ich gar nicht. In Geschichte und Geografie bin ich sogar faul. In Mathematik und Zeichnen bin ich allerdings Klassenbester. Es macht mir Spaß. Das ist doch keine Schande. Fleißig ist man nur, wenn man etwas tut, was man nicht gerne tut.
    Die technische Begabung habe ich sicherlich von meinem Onkel Edgar geerbt. Er ist der Erfinder des elektrischen Sandstrahlgebläses. Er ist in Amerika ein berühmter Mann geworden. Ich will auch eine Erfindung machen, durch die ich berühmt werde. Die Menschheit braucht doch immer neue und bessere Maschinen. Meine Erfindung soll eine große technische Umwälzung bewirken.
    Ich hatte
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