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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Henry Winterfeld
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ein kleines Feld in die Mühlengasse. Hier war der Versammlungsort der Piraten. Sie trafen sich meistens in einer leerstehenden Reithalle, die der Tattersall genannt wird. Die Reithalle ist schon seit vielen Jahren unbenutzt. Ein ungeheuer reicher Mann, ein Pferdeliebhaber, soll sie gestiftet haben. Das war im vorigen Jahrhundert. Reiche Leute lassen immer etwas bauen. Entweder stiften sie eine Kirche oder ein Museum. Manchmal bauen sie auch zum Vergnügen. Sie wissen sonst nicht, was sie mit ihrem vielen Geld anfangen sollen. Sie sollten lieber Erfindungen machen. Oder Erfinder unterstützen. Der Erfinder der Nähmaschine, zum Beispiel, ist im Elend gestorben. Die Reithalle ist ganz zwecklos. In Timpetill hat noch nie jemand ein Reitpferd besessen. Man tut einfach so, als ob die Reithalle gar nicht da wäre.
    Die Kinder sind natürlich mit dem Tattersall überglücklich. Er hat eine richtige Sandarena, aber viel größer als im Zirkus. Drumherum sind Bänke. Davor ist eine Barriere. In der Arena spielen die Kinder Ritterturnier oder Stierkampf. Manchmal auch Clown im Zirkus. Eigentlich ist es verboten.
    Als die Piratenbande auftauchte und immer mächtiger wurde, beschlagnahmte Oskar den Tattersall frech für seine Zwecke. Es durften nur noch Piraten hinein. Hierher zogen sie sich auch zurück, wenn ihnen Gefahr drohte. Es war ein großartiges Versteck.
    Thomas kletterte über einen niedrigen Zaun. Ich folgte ihm. Der Tattersall steht in einem alten, ungepflegten Garten. Die Mauern sind aus rohen Backsteinen. Sie haben hohe, schmale Fenster, die fast alle zerbrochen sind. Das Dach ist zum Teil eingefallen. Das Gebäude macht einen gruseligen Eindruck. Besonders unheimlich war es immer, wenn die Piraten ihre Zusammenkünfte abends abhielten und schwaches Kerzenlicht hinter den Fenstern flackerte.
    Thomas kannte ein kleines Seitentor, durch das wir vorsichtig eintraten. Diesmal hatten die Piraten keine Posten aufgestellt. Wahrscheinlich hatten sie es in ihrer Aufregung vergessen.
    Aus der Halle schlug uns ein dumpfes Gemurmel entgegen. Ich hatte ein knickeriges Gefühl in den Beinen. Ich wäre gerne wieder umgekehrt. Aber ich würde mir lieber die Zunge abgebissen haben, als dass ich es zugegeben hätte.
    Thomas machte die Tür leise hinter uns zu. Wir blieben an der Mauer stehen.
    Auf den Bänken saßen dicht gedrängt Jungs und Mädchen im Alter von zehn bis dreizehn Jahren. Sie redeten alle durcheinander. Einige saßen auch auf der Barriere. In der Mitte der Sandarena, auf der hie und da ein paar Grasbüschel wuchsen, standen eine Kiste und eine Holzbank. Auf der Kiste brannten drei Kerzen, die in leeren Bierflaschen steckten. Eine primitive Beleuchtung. Wenn ich Pirat gewesen wäre, hätte ich zuerst einmal für eine anständige, moderne Lichtanlage gesorgt.
    Auf der Holzbank saß der Piratenhäuptling Oskar mit seinem Adjutanten Willi Hak und Hannes Krog, dem Sohn des Bürgermeisters. Sie hatten alle drei aus Zeitungspapier geschnittene Masken vor dem Gesicht. Willi erkannte ich sogleich an seinem roten Schopf. Vor Oskar lag auf der Kiste ein großes Beil, das er sicherlich seinem Vater stibitzt hatte.

    Thomas packte meinen Arm und flüsterte mir zu, dass ich mich ruhig verhalten sollte. Das hätte er mir nicht zu sagen brauchen. Ich hatte sowieso keine Lust, mich bemerkbar zu machen.
    »Du darfst dich auf keinen Fall von deinem Platz rühren! Was auch geschieht!«, sagte Thomas leise. »Du musst uns den Rücken freihalten!«
    Ich nickte eifrig. Ich war sehr aufgeregt. Unheimlich waren die großen Schatten, die an der hohen, kahlen Wand hin und her wackelten.
    Oskar sprang plötzlich auf und schlug mit dem Beil dreimal auf die Holzkiste, dass die leeren Bierflaschen mit den Kerzen in die Höhe hüpften.
    Die Kinder ringsum wurden sogleich mucksmäuschenstill.
    »Piraten und Piratinnen! Unsere Eltern fangen an, Ärger zu machen!«, brüllte Oskar wichtigtuerisch.
    Er hat eine grölende Stimme, wie ein Mann, der betrunken ist.
    »Sie haben sich auf dem Geißmarkt zusammengerottet und bequatschen, wie sie uns alle bestrafen können! Wir haben keine Angst! Wir gehen einfach nicht nach Hause! Dann werden sie sich schon wieder beruhigen!«
    »Bravo!«, schrie Willi. »Was können wir dafür, wenn das blöde Vieh von einem Kater plötzlich verrückt geworden ist!«
    Ich wurde wütend. So eine Frechheit. Er hätte lieber den Mund halten sollen. Seinetwegen saßen wir jetzt in der Tinte.
    Ein Junge stand auf und hob den
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