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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Henry Winterfeld
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hervorkamen. Ich war davon überzeugt, dass sie sich nur versteckt hatten, um uns einen heilsamen Schreck einzujagen.
    Plötzlich kamen Thomas und Heinz Himmel um die Ecke der »Stiege« gelaufen.
    Ich schrie begeistert: »Hallo, Thomas!!«, und rannte ihnen entgegen.
    »Ich weiß alles!«, rief Thomas mir zu. »Wir sind schon seit einer Stunde unterwegs. Wir haben alle Winkel durchstöbert.«
    »Na und?«, fragte ich gespannt.
    Die Kinder umlagerten Thomas. Sie hingen förmlich an seinen Lippen, so begierig waren sie auf Nachrichten.
    Thomas warf mit einer energischen Kopfbewegung eine Haarsträhne aus der Stirn.
    Dann sagte er mit seiner festen, klaren Stimme:
    »Die Stadt ist vollkommen menschenleer!«
    Auf dem kleinen Platz vor der Schule wurde es still wie in einer Kirche. Ich nahm meine Brille ab und setzte sie wieder auf.
    »Vielleicht sind sie im Rathaus«, dachte ich laut.
    Meine Worte hatten eine große Wirkung. Die Kinder wurden mit einem Mal wieder lebendig.
    »Hurra! Im Rathaus sind sie! Auf, zum Geißmarkt!«, schrien sie durcheinander. Und sogleich rannten sie alle die Pfarrgasse hinunter.
    Heinz, Thomas und ich liefen rasch hinter ihnen her, wir überholten sie und setzten uns an die Spitze.
    Es muss ein seltsamer Anblick gewesen sein, als die vielen Kinder über den Geißmarkt schwärmten und auf das Rathaus zustürmten.
    Thomas hatte als erster die Freitreppe erreicht und sprang mit riesigen Sätzen die Stufen hinauf. Aber vor der Tür blieb er wie angenagelt stehen. Auf dem einen Flügel des mächtigen Portals klebte ein großes gedrucktes Plakat. Er riss es ab, drehte sich auf den Absätzen um und schwenkte es in seiner Rechten.
    Die Kinder hinter ihm waren ins Stocken geraten, die Nachdrängenden rannten gegen sie. Es gab erst ein wildes Durcheinander, aber schließlich trat Ruhe ein.
    Ich stand neben Thomas oben auf der Treppe und konnte den ganzen Geißmarkt überblicken. Ein großer Teil des Platzes war von den Timpetiller Kindern dicht besetzt. Jungen und Mädchen im Alter von fünf bis dreizehn Jahren standen Schulter an Schulter vor dem Rathaus und starrten zu uns hinauf.
    Nur die ganz Kleinen fehlten. Sie schliefen sicherlich noch daheim in ihren Betten und ahnten nichts von der Katastrophe, die uns alle betroffen hatte.
    Aber ich sah noch etwas, was mich stark beunruhigte. An dem einen Ende des Geißmarktes tauchten Oskar, Willi und Hannes auf. Alle drei waren mit unheimlich vielen Sachen beladen, die ich auf die Entfernung nicht erkennen konnte. Sie blieben an der Ecke der Langengasse stehen und blickten überrascht auf die vielen Kinder, die ihnen den Rücken zukehrten. Dann schlenderten sie langsam näher bis zum Matthäibrunnen. Oskar hatte sogar einen Sack auf dem Rücken. Dort setzten sie sich abwartend auf den Brunnenrand.
    Jetzt entdeckte ich mit Entsetzen, dass Willi lauter funkelnagelneue Spielsachen in den Armen hielt.
    Inzwischen hatte Thomas das Plakat auseinandergefaltet. Die Eltern mussten es noch in der Nacht in der Druckerei Kauer haben drucken lassen.
    »Unsere Eltern haben uns eine Botschaft hinterlassen!«, rief Thomas laut.
    »Vorlesen! Vorlesen!«, schrien die Kinder. Thomas räusperte sich und begann:
    An unsere missratenen Kinder! Wir haben genug! Unsere Geduld ist am Ende! Ihr habt es zu toll getrieben in der letzten Zeit! Wir geben die Hoffnung auf, euch erziehen zu können! Unser Beschluss ist unwiderruflich: Wir wollen von euch nichts mehr wissen! Darum verlassen wir für immer die Stadt! Seht zu, wie ihr ohne uns fertig werdet! Mit Euren Eltern habt ihr es euch für immer verscherzt! Ihr braucht auch nicht nach uns zu suchen! Ihr findet uns doch nicht! Es schadet euch gar nichts, wenn ihr einmal merkt, dass die Eltern auch zu etwas anderem da sind, als sich von euch ärgern zu lassen! Lebt wohl!
    Die Eltern von Timpetill!
    Donner und Doria! Das war eine schöne Geschichte! Thomas knüllte das Plakat zusammen und steckte es in die Tasche. Die Kinder waren vor Schreck verstummt.
    Ich fand die Botschaft nicht sehr geistreich. Das Zeug hatte bestimmt Federwischer zusammengebraut.

4
    Federwischer macht die Schere
    Ich hatte recht. Direktor Beese hatte den Aufruf verfasst. Der alte Briefträger Krüger hat mir später alles erzählt. Von der Elternverschwörung im Rathaus; von dem Auszug der Eltern aus Timpetill und von ihrem abenteuerlichen Schicksal nach der verunglückten Wanderung durch den Reckenwald.
    Timpetill liegt inmitten eines ungeheuer großen Waldes,
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