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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Henry Winterfeld
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Kinder trauten sich zuerst nicht nach Hause. Sie waren verängstigt und verstört. Aber dann erinnerten sie sich an Thomas’ Rede, die doch gewirkt hatte, und kehrten reumütig heim. Und, welch Wunder!, es geschah ihnen nichts. Kein Geschrei! Keine Schläge! Die Kinder atmeten erleichtert auf und schlüpften rasch in ihre Betten.
    Aber am nächsten Morgen erlebten sie eine riesige Überraschung.

3
    Der dicke Paul hat kein Frühstück bekommen
    Ich wachte erschrocken auf. Die Uhr der Matthäikirche am Geißmarkt schlug acht.
    Ich werde gewöhnlich um sieben Uhr geweckt. Dann springe ich aus den Federn, achte aber darauf, dass ich mit dem rechten Fuß zuerst aufstehe, weil man Ärger hat, wenn man es mit dem linken tut. Ich bin sonst gar nicht abergläubisch. Ich halte den ganzen Aberglauben für Quatsch. Aber was das Aufstehen mit dem linken Fuß betrifft, habe ich schon böse Erfahrungen gemacht.
    Ich trat auch prompt auf eine Eisenbahnschiene. Ich hatte mir nämlich einige Tage vorher eine neue Strecke gelegt und mein Bett als Tunnel benutzt. Meine große Zehe tat mir scheußlich weh. Ich hüpfte jammernd auf einem Bein zum Fenster, um auf die Kirchturmuhr zu schauen. Aber ich konnte nichts sehen, weil ich meine Brille nicht aufhatte. Ich lief zum Nachttisch zurück und stieß dabei den kunstvoll aufgebauten Bahnhof um. Ich wurde schrecklich wütend. Der Tag fing ja gut an! Meine Brille war natürlich nicht da. Ich fand sie schließlich in einem Winkel unter dem Bett. Zum Glück war sie noch heil. Sonst hätte ich wieder in der Schule von der Tafel nicht abschreiben können, worüber sich Federwischer stundenlang ärgert.
    Ich wurde immer zappeliger. Sicherlich würde ich heute eine halbe Stunde zu spät kommen. Ich riss die Tür auf und rief in die Wohnung hinunter:
    »Mutter! Mutter! Warum hast du mich denn nicht geweckt?! Mein Frühstück, schnell!«
    Ich zog mir hastig den Schlafanzug aus, konnte das Oberteil aber nicht über den Kopf kriegen, weil ich es nicht aufgeknöpft hatte. Ich zerrte wild daran herum. Als alle Knöpfe abgeplatzt waren, wurde ich es endlich los. Dann schlüpfte ich schnell in die Hose, zog mir Strümpfe und Schuhe an und rannte die Treppe hinunter in die Küche. Ich steckte den Kopf unter die Wasserleitung und drehte den Hahn auf. Aber es kam kein Wasser heraus. Auch das noch! »Sollte mitten im Hochsommer die Leitung eingefroren sein?«, dachte ich.
    Jetzt erst fiel mir auf, dass meine Mutter sich gar nicht blicken ließ. Ich klopfte gegen die Schlafzimmertür. Es antwortete niemand. Papa war vielleicht schon im Geschäft unten. Ich stieß die Schlafzimmertür auf, aber keiner war da. Ich lief ins Wohnzimmer. Auch hier niemand! »Das sind ja schöne Zustände!«, dachte ich.
    Ich sollte mich noch mehr wundern.
    Nun rannte ich wieder hinauf und zog mich fertig an. Ich warf die Schulbücher in die Mappe, stellte noch rasch den Bahnhof wieder auf und sprang die Treppen hinunter. Ich nehme immer drei Stufen auf einmal.
    Verrückt! An unserm Geschäft waren die Rollläden noch unten. Überhaupt, was war denn nur los? Auf dem ganzen Geißmarkt waren die Geschäfte geschlossen! »Ist denn heute Feiertag?«, dachte ich. Der Platz war so still und leer. Nur ein paar Kinder eilten in die Pfarrgasse, wo unsere Schule steht.
    Ich holte den dicken Paul Brandstetter ein. Er zog sich im Laufen die Jacke an. Seine Haare waren ungekämmt. Er sah ganz verstört aus.
    »Was hast du denn?«, fragte ich ihn.
    »Meine Eltern sind verschwunden!«, schnaufte er.
    Der dicke Paul hat einen Brummbass wie ein Feldwebel. Ich blieb verblüfft stehen und hielt ihn am Arm fest.
    »Deine auch?!«, rief ich. Er nickte.
    »Ich habe heute kein Frühstück bekommen«, fügte er düster hinzu.
    Mir wurde komisch zumute. Wir liefen weiter. Vor der Schule standen viele Kinder. Das Schultor war geschlossen. »Dann ist also doch Feiertag«, dachte ich.
    Einige Jungen kamen mir aufgeregt entgegen.
    »Manfred Michael!«, riefen sie. »Unsere Eltern sind nicht zu finden! Die Schule macht nicht auf! Niemand lässt sich blicken!«
    Sie waren gar nicht begeistert darüber.
    »Was soll das heißen?«, fragte ich. »Wo sind denn die Eltern? Irgendwo müssen sie doch sein!«
    Fast alle Kinder umringten mich jetzt. Es entstand ein großes Gedränge. »Wir haben keine Ahnung«, schrie Karl Benz.
    »Ich habe nicht einen einzigen Menschen unterwegs getroffen«, erzählte Fritz Schlüter. Er wohnt ziemlich weit draußen.
    Ein Mädchen
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