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Jesus liebt mich

Jesus liebt mich

Titel: Jesus liebt mich
Autoren: David Safier
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    So hat Jesus doch nie im Leben ausgesehen, dachte ich, als ich mir ein Abendmahl-Gemälde im Pfarrbüro ansah. Der war doch ein arabischer Jude, wieso sieht er dann auf den meisten Bildern aus wie einer von den Bee Gees?
    Weiter kam ich in meinen Gedanken nicht, denn Pastor Gabriel betrat das Büro, ein älterer Herr mit Bart, einschüchternden Augen und tiefen Sorgenfalten, die sicherlich jeder bekommt, der über dreißig Jahre Schäfchen hüten muss.
    Ohne jegliche Begrüßung fragte er mich: «Liebst du ihn, Marie?»
    «Ja   … ähem   … klar liebe ich Jesus   … großartiger Mann   …», antwortete ich.
    «Ich meine den Mann, den du in meiner Kirche heiraten willst.»
    «Oh   …»
    Pastor Gabriel stellte immer so indiskrete Fragen. Die meisten Leute in unserem kleinen Örtchen Malente führten das darauf zurück, dass er sich ernsthaft für die Menschen interessierte. Ich hingegen glaubte, dass er schlicht und ergreifend unglaublich neugierig war.
    «Ja», erwiderte ich, «natürlich liebe ich ihn.»
    Mein Sven war ja auch ein liebenswerter Mann. Ein sanfter Mann. Einer, bei dem ich mich geborgen fühlen konnte. Dem es auch kein bisschen was ausmachte, mit einer Frau zusammen zu sein, deren Body-Mass-Index Anlass für Klagegebete gab. Und vor allen Dingen: Bei Sven konnte ich mir sicher sein, dass er mich nicht mit einer Stewardess betrügt – so wie mein Ex Marc, von dem ich hoffte, dass er einmal in der Hölle schmoren würde. Betreut von äußerst kreativen Dämonen.
     
    «Nimm Platz, Marie», forderte Gabriel mich auf und schob seinen Lesesessel an den Schreibtisch. Ich setzte mich hin und versackte im dunklen 7 0-Jahre -Leder, während Gabriel an seinem Tisch Platz nahm. Ich musste zu ihm aufsehen, und mir war sofort klar: Das ist eine von ihm durchaus beabsichtigte Blickachse.
    «Du willst also in der Kirche heiraten?», fragte Gabriel.
    Nein, im Hühnerstall, hätte ich am liebsten gereizt geantwortet, erwiderte aber in möglichst nettem Tonfall: «Ja, darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.»
    «Ich habe dazu nur eine Frage, Marie.»
    «Und welche?»
    «Warum willst du in der Kirche heiraten?»
    Die ehrliche Antwort darauf wäre gewesen: Weil es nichts Unromantischeres gibt als eine Hochzeit auf dem Standesamt. Und ich schon als kleines Mädchen von einer kirchlichen Hochzeit in Weiß geträumt habe und es auch jetzt noch tue, obwohl ich vom Kopf her natürlich weiß, dass es nichts Kitschigeres gibt, aber wer interessiert sich bei einer Heirat schon für den Kopf?
    Doch dies zuzugeben schien mir nicht gerade förderlich für mein Anliegen. Daher stammelte ich mit dem besten Lächeln, das ich nur zaubern konnte: «Ich   … Es ist mir ein tiefes Bedürfnis in der Kirche   … vor Gott   …»
    «Marie, ich sehe dich hier so gut wie nie in den Gottesdiensten», unterbrach mich Gabriel scharf.
    «Ich   … ich   … muss beruflich viel tun.»
    «Am siebten Tag sollst du ruhen.»
    Ich ruhte am siebten Tag, und auch am sechsten Tag, und manchmal feierte ich sogar krank, um an einem der ersten fünf Tage zu ruhen, aber das war wohl nicht das, was Gabriel meinte.
    «Du hast schon vor zwanzig Jahren in meinem Konfirmandenunterricht an Gott gezweifelt», mahnte Gabriel.
    Der Mann hatte vielleicht ein Gedächtnis. Dass er das noch wusste! Damals war ich dreizehn und mit dem coolen Kevin zusammen. In seinen Armen fühlte ich mich wie im Himmel, und mit ihm hatte ich auch meinen ersten Zungenkuss. Aber leider wollte er mich nicht nur küssen, er wollte auch immer wieder unter meinen Pulli. Ich ließ das nicht zu, weil ich fand, dass das noch Zeit hatte. Eine Ansicht, die er nicht teilte. Deswegen fummelte er bei der Konfirmanden-Freizeit-Party unter dem Pulli einer anderen, direkt vor meinen Augen. Und die Welt, wie ich sie kannte, endete in diesem Augenblick.
    Es konnte mich auch nicht trösten, dass Kevin die Brüste der anderen mit der gleichen Sensibilität behandelte, die Bäcker beim Herstellen von Brötchenteig an den Tag legen. Selbst meine zwei Jahre ältere Schwester Kata konnte mich nicht beruhigen, obwohl sie so schöne Dinge sagte wie: «Der hat dich gar nicht verdient», «Er ist ein blöder Sack» oder «Man sollte ihn standrechtlich erschießen».
    So lief ich zu Gabriel und fragte ihn mit Tränen in den Augen: «Wie kann es einen Gott geben, wenn es in der Welt etwas so Fieses wie Liebeskummer gibt?»
     
    «Erinnerst du dich auch, was ich dir darauf geantwortet habe?», fragte
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