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Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany
Autoren: Felix Thijssen
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vertreiben. Während ich mir in der Tenne Holzscheite auf den Arm lud, hörte ich, wie die Klinke der Hintertür hinuntergedrückt wurde. Rasch ließ ich die Holzscheite wieder auf den Stapel rutschen und stellte mich hinter einen der vertikalen Balken auf dem ehemaligen Heuboden.
    Tiffany schlüpfte in die Tenne hinein. Offenbar hatte sie sich neue Kleider angeschafft: Sie trug einen blauen Regenmantel und dazu eine Ledertasche in einem dunkleren Blau, darunter ein Kleid, Nylonstrümpfe und elegante Schuhe. Sie sah aus wie eine Dame, die sich speziell für diesen Besuch besonders hübsch zurechtgemacht hatte.
    Sie stand mitten in der Tenne, als ich hüstelte. Sie warf einen Blick zur Seite und rannte auf mich zu. Sie rief meinen Namen und fiel mir um den Hals. Sie fühlte sich anders an, neu, gesund. Ihre Haare rochen frisch, nach Gras und Löwenzahn, und ihre Wangen waren von der kühlen Frühlingsluft leicht gerötet. Sie hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem mageren Aal, der mir auf dem voll gekotzten Badezimmerboden aus den Händen geglitscht war. Selbst ihre Augen wirkten weniger grau, als habe jemand tief unten im Meer kleine Lichter angezündet.
    Ich drückte sie an mich und spürte, wie froh ich war, sie zu sehen. Ich wusste, wie instabil ihr Zustand noch war, und dass ihr bei den geringsten Schwierigkeiten ein Rückschlag drohte, aber in diesem Augenblick schien es, als habe sie es geschafft.
    Sie zog meinen Kopf herunter. »77 voglio tanto bene«, spottete sie fröhlich und küsste mich auf den Mund.
    »Schon gut. Wo kommst du denn jetzt her?«
    »Aus meinem Hotel. Von da aus bin ich mit dem Taxi zum Busbahnhof gefahren und dann mit dem Bus hierher.«
    »Du wohnst in einem Hotel?«
    »Ja, in einem ganz schicken in der Nähe der Messe. Da habe ich jetzt schon drei Tage hintereinander übernachtet, ganz alleine. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen …«
    »Auf Kosten von Nol Chaski?«
    Sie ließ mich los und biss sich auf die Lippen. »Ich habe keinerlei Mitleid mit solchen Leuten. Wenn ich Gott wäre, würde ich mit einem Streich die ganze Stadt von so was befreien.«
    Sie hüpfte fröhlich durch die Tenne und ins Haus hinein. Ich hob meine Holzscheite wieder auf und fühlte mich wie ein nörgeliger alter Mann.
    Tiffany schaute mir vom Sofa aus zu, wie ich Holz aufs Feuer legte. Ich erkannte, dass sie sich nach meiner Zustimmung sehnte, meinem Beifall, meinem Lob für den Kraftakt, den sie geleistet hatte. Sie warf eines von Margas Kissen beiseite und klopfte einladend auf das alte Leder, aber ich setzte mich in den Sessel ihr gegenüber.
    »Aber du bist nicht Gott«, sagte ich.
    »Nein.« Sie schaute nicht mehr so fröhlich drein, sondern eher betreten. Ein Mädchen, ein halbes Kind noch, genauso alt wie Jeremy, mit dem ich auch nie zurechtgekommen war. Sie hatte Augen wie eine Taube. Sie hätte durchaus meine Tochter sein können.
    »Warum übernimmst du dann seine Aufgaben, bestimmst über Schuld und Sühne, Auge um Auge, Zahn um Zahn?«
    Sie verzog den Mund und wandte den Blick ab. »Du hältst es nicht für richtig.«
    »Das hängt davon ab, wie weit du bei deinem Plan gegangen bist. Ich habe dich im Krankenhaus gesehen.«
    »Du warst das also«, sagte sie. »Der Mann hat gesagt … Ich dachte, es wäre jemand von der Polizei gewesen, und ich konnte nicht riskieren …«
    »Ich gehöre immer noch mehr oder weniger zur Polizei.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Quatsch, dann wäre ich nicht hier.«
    Sie zog ihre neue Tasche zu sich hin, holte meine Beretta heraus und legte sie vorsichtig auf den niedrigen Tisch zwischen uns. »Ich habe nicht damit geschossen«, sagte sie. »Außerdem wüsste ich gar nicht, wie das geht.« Sie grinste. »Aber sie hat schwer Eindruck gemacht.«
    »Auf einen alten Hehler und einen verängstigten kleinen Dealer«, erwiderte ich verdrießlich.
    »Ach, verdammt noch mal!«, rief sie und sprang auf, plötzlich wütend. »Du bist einfach nie zufrieden! Du kannst mich mal! Ich geh wieder.«
    Sie blieb stehen, mit blitzenden Augen. »Wenn du es so willst … Ich hatte es mir anders vorgestellt.«
    »Applaus? Eine Medaille?«
    Sie biss sich enttäuscht auf die Lippen, mit hängenden Schultern. »Setz dich«, sagte ich. »Und erspar mir dein Theater.«
    Sie ließ sich zurück auf das Sofa sinken und schaute mich skeptisch an.
    »Was hast du denn jetzt vor?«, fragte ich.
    Tiffany rieb sich über die Knie. »Ich habe die Stellenanzeigen in der Zeitung studiert und einen Termin mit der
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