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Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany
Autoren: Felix Thijssen
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schlimm war?«
    Sie nickte. »Schwere Herzrhythmusstörungen. Er hat einen Schock erlitten, die Polizei ist bei ihm eingedrungen. Wir behalten ihn einen Tag lang zur Beobachtung hier, mehr wird nicht nötig sein.«
    Ich dankte ihr. »Muss seine Tochter an der Kantine vorbei, wenn sie das Krankenhaus wieder verlassen will?«
    »Ja, aber ich glaube …« Ich sah, dass sie an mir vorbei wollte, um Tiffanys heimlichem Besuch ein Ende zu bereiten. Ich berührte sie am Arm. »Lassen Sie sie doch noch einen Moment bei ihm«, schlug ich vor. »Sie haben ein schwieriges Verhältnis zueinander, und seine Tochter hat natürlich einen ordentlichen Schrecken gekriegt.«
    Sie zögerte, schaute auf ihre Armbanduhr und bemerkte dann achselzuckend: »Wenn die Visite kommt, muss sie sowieso raus.«
    Ich ging an den Studenten vorbei, die noch drei oder vier Zimmer von Cornelius entfernt waren, und setzte mich auf einen Kaffee in die Kantine, wobei ich den Flur im Auge behielt.
    Ich schlug die Zeit tot, indem ich versuchte, auszurechnen, wie lange Ärzte auf Visite mit einer Gruppe von Studenten im Schlepptau pro Krankenzimmer brauchten. Dabei bezog ich den nötigen Spielraum für aufmüpfige Studenten und auch den Fall mit ein, dass sich ein Dozent übertrieben gerne reden hörte. Nach drei Tassen Kaffee beschloss ich, dass für alle Fälle, inklusive der unvorhersehbaren, genügend Zeit verstrichen war.
    Mir wurde klar, dass ich einfach auf dem Flur hätte warten sollen, als ich die Gruppe vier Türen hinter der von Cornelius in einem Zimmer verschwinden sah. Der Vogel war ausgeflogen, und ich nutzte jetzt die Gelegenheit.
    Der Mann mit dem Gipsbein zwinkerte mir genau wie vorhin zu. Der andere Patient mochte zwischendurch aufgewacht sein, war aber während der medizinischen Diskussionen wohl prompt wieder eingeschlafen.
    Cornelius reagierte kaum, als ich hinter seinem Schirm erschien und mich auf Tiffanys Stuhl setzte. »Hi, Pierre.«
    Er schaute mich an. Ich sah, dass seine Augen feucht waren.
    »Wo ist Madelon?«
    Eine Kopfbewegung. Weg. Vielleicht hatte sie vom Gipsbein einen Tipp bekommen und war durch das Fenster oder eine der Feuerleitern hinuntergeklettert, die sich am Ende jedes Flures befanden.
    »Wir sind beide reingelegt worden.« Seine Stimme klang so kratzig wie eine Geige in den Händen eines Fünfjährigen.
    »Hat sie das gesagt?«
    »Sie hat zu mir gesagt: Du bist genauso reingelegt worden wie ich.«
    Vielleicht war Tiffany stark genug, um ihrem Vater vergeben zu können. Eine zynischere Vorstellung war, dass sie nur freundlich zu ihm war, weil sie ihn nicht mehr brauchte. »Und jetzt legen wir zur Abwechslung mal die Stiefmutter rein?«
    Er schaute mich mit stumpfem Blick an. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Sie haben doch einen ganz schönen Schrecken gekriegt heute Morgen, nicht wahr?«
    Er machte ein verwirrtes Gesicht. Vielleicht hatte Tiffany ihm nichts von ihrer Racheaktion erzählt, oder er besaß nicht genügend Willenskraft, sich zu fragen, wie sie ihn hier hatte besuchen können, nachdem noch keine Stunde seit seinen Herzrhythmusstörungen vergangen war. Bequemlichkeit schien mir jedenfalls eine seiner hauptsächlichen Beweggründe für sein gesamtes Denken und Handeln zu sein.
    »Ich bin ein wenig erstaunt darüber, dass Sie sich nie die Mühe gemacht haben, zu überprüfen, ob Trees tatsächlich keine Kinder bekommen konnte«, bemerkte ich nichtsdestotrotz.
    »Warum hätte ich denn das tun sollen? Sie ist doch ein paarmal schwanger geworden.«
    »Ein Anruf hätte genügt, oder ein Besuch bei ihrer Gynäkologin Frau Doktor Harteveld, in der Homeruslaan. Mehr war gar nicht nötig.«
    »Ich wusste nicht, zu welcher Ärztin sie ging.«
    »Ihr Vorgänger hat einfach in Trees’ Adressbuch geschaut.«
    Er wandte sich ab. »Sie haben leicht reden.«
    Mich überkam das unwiderstehliche Bedürfnis, ihm noch eine kleine Extra-Herzrhythmusstörung zu verursachen. »Aber das kann doch nicht wahr sein, so eine Kleinigkeit, so eine lächerliche Winzigkeit«, sagte ich. »Ein einziges Telefonat, und Ihre Tochter hätte ein normales Leben führen können, keine Drogen, keine Prostitution. Sie wäre heute eine nette, gesunde junge Lehrerin.«
    Pieters Gesicht verzog sich und wechselte die Farbe, sodass ich einen Moment lang dachte, mein Wunsch ginge in Erfüllung. Dann sagte er, mit dem verteidigenden Tonfall eines kleinen Jungen: »Wir beide haben uns wieder versöhnt.«
    »Nein, nicht Sie beide. Sie hat es getan.
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