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Tief atmen, Frau Doktor!

Tief atmen, Frau Doktor!

Titel: Tief atmen, Frau Doktor!
Autoren: Richard Gordon
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dritte im Bunde kam von seiner Vormittagsvisite zurück.
    Dr. Roland Carmichael sah gut aus, war groß und grauhaarig. Drei Scheidungen gaben ihm seiner Meinung nach das Recht, wie ein erfolgreicher Schauspieler geblümte Hemden und Anzüge aus Boutiquen zu tragen. Er lehnte einen Drink ab. Er ließ sich müde in einen Ledersessel fallen, der aussah, als hätte er schon ein nützliches Dasein in irgendeinem Pall-Mall-Club verlebt.
    »Ich hab ein paar Ringeltauben für dich im Auto«, sagte Freddie, der am marmornen Kamin lehnte. »Mit viel Thymian und Majoran schmecken sie gar nicht so übel.«
    Rolands Dank fiel knapp aus.
    »Du mußt wohl deine Junggesellenspeisekammer auffüllen, hm?« sprach Freddie jovial weiter. »Sie sind aber leider voller Schrotkörner, fürchte ich. Wie das Kaninchen vorige Woche. Ich mußte es vom Südosten her schwer unter Beschuß nehmen, während es nach Nordwesten zog. Du hast das Schneehuhn doch nicht zu lange hängen lassen?«
    Roland sagte ihm, es sei genießbar gewesen.
    »Hör mal, alter Knabe, fühlst du dich hundertprozentig fit?« fragte Biggin besorgt.
    »Selbstverständlich«, erwiderte Roland ungehalten. »Ich nehme es mit jedem Mann auf - mit jedem Burschen«, verbesserte er sich, »der halb so alt ist wie ich.«
    Sie hatten gemeinsam im St. Bonifaz-Krankenhaus in London studiert und trudelten, so wie es unter Engländern, die einander von Jugend an kennen, üblich ist, gemütlich unter einem schützenden Mantel unverbindlichen Geplänkels durchs Leben. Sie waren gleich alt, was den beiden anderen Gelegenheit gab, Roland wegen seiner ängstlichen Bemühungen, jünger auszusehen, aufzuziehen.
    Freddie nippte an seinem Gin und bekannte: »In meinen Ärzteaugen siehst du genauso sterbenselend aus wie das Schneehuhn damals.«
    »Ich bin gesund wie ein durchtrainierter Mönch, der keinen Alkohol trinkt und sich gesund ernährt«, versicherte Roland ihm mit Nachdruck.
    »Vielleicht ist das dein Problem?« fragte Biggin sanft. »Als der einzige von uns, der im Augenblick nicht verheiratet ist, solltest du mit einer routinierten Krankenschwester im Bett liegen.«
    »Schon seit wir diese Praxis eröffnet haben, habe ich erkannt, daß ihr Hypochonder seid. Ich weigere mich, nun indirekt darunter zu leiden.« Roland Carmichael stand auf und schritt aus dem Zimmer.
    Der Warteraum draußen war mit Eichenholz getäfelt, geschmückt mit einem Hirschgeweih, einem riesigen Lachs in einer Glasvitrine und einem Kalender des Farmervereins. Die Patienten durften ihre Wartezeit auf vier reichgeschnitzten Kirchenbänken absitzen, die Freddie billig auf einer Versteigerung im Dorf erworben hatte, als ein Gewitter ihn am nachmittäglichen Fischen gehindert hatte. Verstreut darauf lagen Exemplare der Zeitschriften Die Scholle, Landleben und Der Viehzüchter und ein paar Samenkataloge. An einem antiken Schreibtisch saß der einzige ständige Bewohner des Gebäudes.
    »Doktor, ihre Termine für die Abendvisiten.«
    Mr. Windows hielt ihm eine mit Bleistift geschriebene Liste hin. Er war ein Mann mit einem gegerbten Gesicht, hatte einen kurzen weißen Kittel an und trug noch immer die Würde eines Stewards der ersten Klasse eines Vergnügungsschiffes zur Schau — von wo ihn Freddie zu einem Krankenwärterdasein an Land gelockt hatte. So mühelos, wie sich die Dinge in der Praxis entfalten, war er seither zur Sprechstundenhilfe, zum Sekretär, zur Krankenschwester und - seiner Ansicht nach - zum Notarzt aufgestiegen.
    Roland blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die Liste in seiner ausgestreckten Hand.
    »Wenn ich mir erlauben darf, eine Diagnose zu stellen, sagte Mr. Windows, »wär's nicht Zeit, daß Sie anfangen, eine Brille zu tragen?«
    »Nein danke! Meine Sehschärfe ist vollkommen normal. Völlig einwandfrei - als ich sie zuletzt überprüfen ließ.«
    »Wenn Sie mich fragen, Doktor, haben Sie ein einwärts wachsendes Gerontoxon.«
    »Warum belästigt mich heute morgen jeder wegen meiner Gesundheit?« Roland verschwand in einem der drei Untersuchungszimmer und schlug die Tür zu.
    Im Aufenthaltsraum ließ Biggin einen Besteckkasten aufschnappen und entnahm ihm sein Stethoskop. »Ich werde unseren alten Roland mal anvisieren«, kündigte er entschlossen an.
    »Was machst du, wenn er sich weigert, seine Hose hinunterzuziehen?« Freddie öffnete seinen eigenen schmalen Besteckkasten und begann bedächtig, ein Gewehr zusammenzusetzen. »Du kannst ihn wohl kaum vors Kriegsgericht stellen. Du
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