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Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Titel: Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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    Als Kelsey den Brief aus ihrem Briefkasten nahm, konnte sie nicht ahnen, daß er von einer Toten stammte. Das cremefarbene Briefpapier, die ordentlich von Hand geschriebene Adresse und der Poststempel des Staates Virginia erschienen ihr so alltäglich, daß die den Brief einfach mitsamt der restlichen Post auf den alten Teetisch unter ihrem Wohnzimmerfenster legte, während sie aus ihren Schuhen schlüpfte
    Dann ging sie in die Küche und schenkte sich ein Glas Wein ein. Das wollte sie in aller Ruhe genießen, ehe sie ihre Post öffnete. Nicht daß sie den Drink gebraucht hätte, um sich für das Lesen der Post in dem schmalen Umschlag, die Reklamesendungen, die Rechnungen oder die bunte Postkarte, die ihr eine Freundin von einer Urlaubsreise in die Karibik geschickt hatte, zu wappnen.
    Das kleine Päckchen, das den Absender ihres Rechtsanwaltes trug, hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Es konnte nur ihre Scheidungsunterlagen enthalten; die offizielle Urkunde, die Kelsey Monroe wieder in Kelsey Byden, eine verheiratete Frau, in eine alleinstehende, geschiedene Frau verwandelte.
    Sie wußte, daß es töricht war, so zu denken. Schließlich war sie die letzten zwei Jahre mit Wade nur auf dem Papier verheiratet gewesen, fast ebensolange wie ihre Ehe gedauert hatte.
    Doch das Dokument besiegelte das Scheitern ihrer Verbindung mit einer lähmenden Endgültigkeit; viel mehr, als dies die tränenreichen Auseinandersetzungen, die Trennung, die Anwaltsgebühren und die juristischen Formalitäten vermocht hatten
    Bis daß der Tod uns scheidet, dachte sie erbittert und nippte an ihrem Wein. Was für ein Unsinn! Wenn dem so wäre, hätte sie im Alter von sechsundzwanzig Jahren dahinscheiden
müssen. Statt dessen war sie ausgesprochen lebendig und munter, bei guter Gesundheit und für den Markt der Singles wieder verfügbar.
    Allein der Gedanke ließ sie schaudern.
    Vermutlich war Wade ausgegangen und feierte zusammen mit seiner hübschen, stets nach der neuesten Mode gekleideten Kollegin Lari aus der Werbeagentur das Ende seiner Ehe. Mit derselben Kollegin, mit der er eine Affäre gehabt hatte; eine Affäre, die, wie er seiner überraschten und vor Wut kochenden Frau erklärte, nichts mit ihr oder ihrer Ehe zu tun hatte.
    Seltsamerweise hatte Kelsey die Dinge anders gesehen. Zwar dachte sie weder selbst das Zeitliche zu segnen noch Wade ins Jenseits zu befördern, um eine Trennung zu ermöglichen, doch hatte sie ihr Ehegelübde sehr ernstgenommen. Und Treue stand dabei an erster Stelle.
    Nein, nach Kelseys Meinung hatte die lebhafte, zierliche Lari mit dem aerobicgestylten Körper und dem süßen Lächeln sogar ziemlich viel mit ihr zu tun.
    Eine zweite Chance hatte es für Wade nicht gegeben. Sein Ausrutscher, wie er es zu formulieren beliebte, sollte sich nicht wiederholen. Kelsey war auf der Stelle aus dem schönen Stadthaus in Georgetown ausgezogen und hatte alles, was sie im Laufe ihrer Ehe zusammen angeschafft hatten, zurückgelassen.
    Zwar empfand sie es als demütigend, in das Haus ihres Vaters und ihrer Stiefmutter zurückkehren zu müssen, doch auch ihrem Stolz waren Grenzen gesetzt. Genau wie ihrer Liebe. Und diese Liebe war in dem Moment erloschen, in dem sie Wade und Lari in einer Hotelsuite in Atlanta überrascht hatte.
    Eine nette Überraschung, dachte Kelsey höhnisch. Nun, alle drei Beteiligten waren unangenehm berührt gewesen, als sie mit einer Reisetasche und der lächerlich romantischen Vorstellung, das Wochenende mit Wade zu verbringen und ihm so seine Geschäftsreise zu versüßen, in die Suite hereingeschneit war.
    Vielleicht war sie ja wirklich streng, unnachgiebig und
hartherzig – alles Eigenschaften, derer Wade sie beschuldigt hatte, als sie sich weigerte, die Scheidungsklage zurückzuziehen. Aber dennoch war sie im Recht gewesen, wie Kelsey sich selbst bestärkte.
    Sie leerte ihr Glas und ging in das makellos aufgeräumte Wohnzimmer zurück. Nicht ein einziger Stuhl, nicht eine einzige Kerze in dem sonnendurchfluteten Raum stammte aus dem Haus in Georgetown. Eine klare, saubere Trennung. Das hatte sie gewollt, und das hatte sie auch bekommen. Die kühlen Farben hatte sie gewählt, und die Kunstdrucke, von denen sie nun umgeben war, gehörten ausschließlich ihr allein.
    Um Zeit zu gewinnen, schaltete sie die Stereoanlage ein und legte eine CD auf. Beethovens Pathétique erfüllte den Raum. Ihr Vater hatte ihre Liebe zur klassischen Musik geweckt; eine ihrer zahlreichen gemeinsamen
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