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Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Titel: Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Autoren: Nora Roberts
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Interessen. Gemeinsam war ihnen beiden vor allem ein unstillbarer Wissensdurst, und Kelsey wußte, daß sie auf dem besten Wege gewesen war, zur ewigen Studentin zu werden, bis sie ihre erste feste Stelle bei Monroe Associates angetreten hatte.
    Sogar während dieser Zeit konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, eine Vielzahl von Kursen, angefangen bei Anthropologie bis hin zur Zoologie, zu belegen. Wade hatte sie ausgelacht, offenbar fasziniert und belustigt zugleich über ihre ruhelose Sprunghaftigkeit, die sie von Kurs zu Kurs, von Job zu Job trieb.
    Nach der Hochzeit hatte sie bei Monroe gekündigt. Ihr Treuhandvermögen und Wades Einkommen machten einen festen Job überflüssig. Lieber widmete sie sich voll und ganz dem Umbau und der Renovierung ihres neu erworbenen Hauses. Sie hatte Farbe abgekratzt, Fußböden poliert, in staubigen Antiquitätenläden herumgestöbert, um das passende Möbelstück für eine bestimmte Stelle zu finden – und jede Stunde genossen. Den kleinen Hof in einen typischen englischen Garten zu verwandeln bereitete ihr das reinste Vergnügen. Binnen eines Jahres hatte sie das Haus in ein Schmuckstück verwandelt; Zeugnis
ihres Geschmacks, ihrer Anstrengungen und ihrer Geduld.
    Nun war es nichts weiter als ein Vermögenswert, der zwischen ihr und Wade aufgeteilt werden mußte.
    Kelsey ging zurück an die Universität, jenen akademischen Hafen, wo es ihr möglich war, den Alltag für einige Stunden zu vergessen. Nun arbeitete sie dank ihrer kunstgeschichtlichen Kenntnisse halbtags in der National Gallery.
    Dabei hatte sie es nicht nötig, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Treuhandfonds ihres Großvaters väterlicherseits ermöglichte ihr ein sorgenfreies Leben, so daß es ihr freistand, ihren ständig wechselnden Interessen nachzugehen.
    Jetzt war sie also eine unabhängige Frau. Jung, dachte Kelsey, und, mit einem Blick auf den Stapel Post, alleinstehend, mit vielfältigen Kenntnissen, aber ohne fundierte Ausbildung. Wofür sie ihrer Meinung nach die besten Voraussetzungen mitbrachte, nämlich für eine gute Ehe, hatte sich als völliger Fehlschlag erwiesen.
    Kelsey atmete vernehmlich aus, ging langsam zu dem Tischchen und tippte mit den Fingerspitzen auf das amtlich aussehende Päckchen. Sie hatte lange, schlanke Finger; Finger, die Klavier spielen und zeichnen konnten. Finger, die gelernt hatten, eine Schreibmaschine zu bedienen, köstliche Mahlzeiten zuzubereiten und einen Computer zu programmieren, und an einem dieser Finger hatte einst ein Ehering gefunkelt.
    Kelsey überging den dicken Umschlag und ignorierte die kleine Stimme in ihrem Kopf, die ihr das Wort Feigling zuzischelte. Statt dessen griff sie nach einem Brief, dessen Umschlag eine ihrer eigenen verblüffend ähnliche Handschrift trug, kühn geschwungen und gut leserlich. Ohne übergroße Neugier riß sie ihn auf.
    Liebe Kelsey, du bist bestimmt überrascht, von mir zu hören.
    Als sie weiterlas, verwandelte sich ihr flüchtiges Interesse in Schrecken, der Schrecken in Ungläubigkeit und die
Ungläubigkeit in eine Empfindung, die Angst am nächsten kam.
    Sie hielt die Einladung von einer Toten in der Hand. Und diese Tote war ihre Mutter.
     
    Solange Kelsey zurückdenken konnte, hatte sie sich in Krisenzeiten stets an ihren Vater gewandt. Die Liebe und das Vertrauen, das die ihm entgegenbrachte, waren das einzig Beständige an ihrer sonst so unbeständigen Natur. Er war immer für sie da, weniger als ein rettender Hafen im Sturm, sondern eher als jemand, bei dem sie Halt fand, bis der Sturm abebbte.
    Ihre frühesten Kindheitserinnerungen galten ihm, seinem angenehmen, ernsten Gesicht, seinen sanften Händen, seiner ruhigen, geduldigen Stimme. Er hatte Schleifen in ihr langes, glattes Haar geflochten oder die hellblonden Strähnen ausgekämmt, während Musik von Bach oder Mozart aus der Stereoanlage klang. Er war es gewesen, der Pflaster auf ihre aufgeschürften Knie klebte, der ihr Lesen und Fahrradfahren beibrachte, der ihre Tränen trocknete.
    Kelsey betete ihren Vater an und war ungeheuer stolz auf ihn, als er zum Dekan der Englischen Fakultät der Georgetown University ernannt wurde.
    Als er wieder heiratete, verspürte sie keinerlei Eifersucht. Damals war sie achtzehn und froh, daß er jemanden gefunden hatte, den er liebte und mit dem er sein Leben teilen wollte. So räumte sie Candace einen Platz in ihrem Heim und ihrem Herzen ein, heimlich stolz auf ihre Reife und ihr Verständnis. Wer hätte schon so
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