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Tief atmen, Frau Doktor!

Tief atmen, Frau Doktor!

Titel: Tief atmen, Frau Doktor!
Autoren: Richard Gordon
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Halskragen schien mit Email überzogen.
    »Wenn die Kirche mit den heute üblichen sozialen Gepflogenheiten nicht zu Rande kommt, so wird das der Menschheit nur als eine weitere Ausrede für ihre Ablehnung, von uns Notiz zu nehmen, dienen«, setzte der Bischof leutselig fort. Tag für Tag fragte er sich besorgt, ob er dem Reverend Arthur Dawney wohl nicht beleidigend erschien. Der Bischof war unfähig, einen Menschen zu hassen, aber er hätte es gerne gesehen, wenn manche im Missionsfeld bevorzugt würden. »Ich kann Sie versichern, daß ich mir meiner Wichtigkeit durchaus bewußt bin, ohne jedesmal, wenn ich angesprochen werde, daran erinnert werden zu müssen.«
    »Ich hoffe, Sie finden nicht, daß ich Ihnen zu wenig Respekt entgegenbringe?« fragte der Kaplan, der sich nicht darum kümmerte, wie beleidigend er war.
    »Das war ein Scherz.«
    »Ach so! Der vormalige Bischof beliebte selten zu scherzen.« Der Kaplan legte dem Bischof sein Bündel Morgenpost auf den Schreibtisch. Seine plumpen rosa Finger erinnerten den Bischof an Cocktailwürstchen, mit denen er als geselliger Mensch vertrauten Umgang pflog. »Mr. Bellwether ist unten.«
    Der Bischof zog seine dichten, rotblonden, zusammengewachsenen Augenbrauen hoch. »Einen Erzdiakon darf ich natürlich nicht warten lassen.«
    Wenig später begrüßte ihn der Bischof: »Guten Morgen, Bill.«
    »Guten Morgen, Peter.« Mr. Bellwether war stattlich, in mittleren Jahren, umgänglich und anpassungsfähig. Hätte der Bischof darauf bestanden, mit »altes Haus« angesprochen zu werden, er hätte sich daran gehalten. Er setzte sich auf einen der unbequemen Stühle und schlug die Beine, die in dunklen Hosen steckten, übereinander. »Schön, daß Sie zurück sind. Sie müssen mir alles über Amerika erzählen.«
    »Es war faszinierend«, sagte der Bischof begeistert. »Amerika hat so vieles, was mir zusagt. Die Großzügigkeit. Den Enthusiasmus. Die Ungezwungenheit. Janet wird alle unsere Dias morgen entwickeln lassen. Warum kommen Sie beide, Sie und Mary, nicht vorbei und verbringen den Abend mit uns?«
    »Ich glaube nicht, daß es uns morgen ausgeht«, sagte der Erzdiakon entschieden.
    »Die Fotos, die sie vom Grand Canyon schoß, sind sehr eindrucksvoll.«
    »Er soll sehr groß sein, habe ich gehört?«
    »Sehr groß.« Das schien das Ende ihrer Konversation anzudeuten. Der Bischof schwenkte in seinem schwarzen Bürosessel aus Plastik herum. »Wir können von den Amerikanern viel lernen. Über die Gesundheit zum Beispiel.«
    Der Erzdiakon schöpfte augenblicklich Verdacht. »Es geht mir ausgezeichnet, danke.«
    Der Bischof fixierte ihn mit eiskaltem Blick. »Bald wird es Ihnen noch viel besser gehen.«
    Peter Ivens, seine Eminenz der Bischof von Mitrebury, war knapp über vierzig. Seine Ernennung durch den Premierminister hatte im Athenäum-Klub in London Ärgernis erregt: in der Church Times Meinungsverschiedenheiten und im All Souls College in Oxford, das sich seit fünfhundert Jahren als eine Art Pensionat für werdende Bischöfe betrachtete, wieherndes Gelächter. Mr. Bellwether hatte nachsichtig gedacht, daß die Bischöfe jedes Jahr jünger zu werden schienen, genau wie die weiblichen Wimbledonsiegerinnen.
    Peter Ivens war groß, schlank und agil und sah gut aus. Er hatte rotblondes Haar, strahlende blaue Augen und rosige Wangen. Er hatte für Oxford Rugby und für England Cricket gespielt und betrieb Karate zum Vergnügen. Mit einem starken Willen und einem scharfen Geist ausgerüstet, verstand er es, mit Menschen und Ereignissen umzugehen, und war gerissen genug, sich den Anschein politischer Beschränktheit zu geben. Zeitungsreporter liebten ihn abgöttisch, da er nie um ein passendes Zitat verlegen war, was ihnen lästige Denkarbeit ersparte. Klatschkolumnisten schätzten seine netten Exzentrizitäten - ein Bischof, der sich in Kneipen herumtrieb, kam einem Papst gleich, der sich an einer Orgie beteiligte. Durch seine ständige Anwesenheit in unterhaltsamen Fernsehsendungen hatte sich sein Bild der britischen Öffentlichkeit eingeprägt, einer Öffentlichkeit, die von Bischöfen auf vage und gleichsam ererbte Weise Notiz nimmt. Oder von Persönlichkeiten seines Schlages. Klug wie er war, wußte er, daß das Fernsehen verräterisch ist wie das Spieglein an der Wand von Schneewittchens Stiefmutter.
    »Mens sana in corpore sano.« Durch das Fenster erwiderte der Bischof den starren Blick der Heiligen, die um das große Westportal der Kathedrale gruppiert waren.
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