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Tief atmen, Frau Doktor!

Tief atmen, Frau Doktor!

Titel: Tief atmen, Frau Doktor!
Autoren: Richard Gordon
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wurdest 1946 aus dem Militärdienst entlassen. Weißt du das nicht mehr?«
    Biggin schritt ins Untersuchungszimmer und stieß auf den Doktor, der in Hemdsärmeln nervös seinen Blutdruck maß.
    »Wie sieht's aus?« fragte Biggin.
    »Dreihundert zu hundertfünfzig.«
    »Was!«
    »Oh, doch nicht ganz so viel...« Roland blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die Skala neben der Quecksilbersäule. »Heutzutage sind die Ziffern auf den Instrumenten derart klein geschrieben.«
    Sein Seufzer fiel zusammen mit dem Zischen der Luft, die der schwarzen, aufblasbaren Manschette um seinen Oberarmmuskel entströmte. »Du hast recht, Biggin«, gab er zu. »In letzter Zeit bin ich nicht ganz auf der Höhe. Alle möglichen Symptome. Bauchschmerzen und Kopfschmerzen. Schwäche und Mattigkeit. Ein fader Geschmack im Mund. Es begann etwa zu der Zeit, als Charlotte und ich uns letztes Jahr trennten. Du weißt ja, wie ungern Ärzte zugeben, daß sie krank sind. Das ist so, als entdecke Sher-lock Holmes, daß in seiner Wohnung in der Baker Street eingebrochen worden sei.«
    Biggin klopfte ihm auf die Schulter. »Los geht's. Auf die Couch mit dir.«
    Die Untersuchung eines Ärztes durch einen anderen ist eine sehr heikle Angelegenheit, die genausoviel Feingefühl und Takt erfordert wie ein Pokerspiel zwischen zwei Falschspielern. Der Arzt, der auf den Beinen ist, bekennt höflich seine völlige Unkenntnis der Medizin im Vergleich zum Arzt, der auf dem Rücken liegt und sich mit derselben Höflichkeit bemüht, seine Todesangst vor dieser Untersuchung zu verbergen.
    Dr. Biggin Hills klinische Erfahrung bei der Königlichen Luftwaffe, als Polizeiarzt und Arzt bei Pferderennen, bei Jäger- und Bergsteigervereinen - ein Feiertag, an dem sich niemand ein Bein brach, schien für ihn eine Enttäuschung zu sein - hatte dazu geführt, daß er seine Patienten sehr resolut und optimistisch behandelte. Er legte eine Hand auf Rolands entblößtes Abdomen und rief durch die offene Tür: »Du, Freddie, komm und taste das mal ab.«
    Freddie schlenderte mit dem Gewehr unter dem Arm herein. Er drückte mit den Fingerspitzen. »Niere.«
    »Milz.« Einwand von seiten Biggins.
    »Mein Lieber«, sagte Freddie ätzend. »Ein verkaterter Medizinstudent im ersten Semester kann dir sagen, daß es die Niere ist.«
    »Ich hege den Verdacht, Freddie, daß du nur dann eine Niere erkennst, wenn sie dir mit Speck zum Frühstück serviert wird« , antwortete Biggin frostig.
    »Würdet ihr bitte meine inneren Organe mit gebührendem Respekt erörtern?« unterbrach Roland.
    Biggin wirkte gekränkt. »Es ist nur zu deinem Besten.«
    »Das erzählt man den Patienten«, wandte Roland verdrießlich ein.
    »Du bist ein Patient«, rief Freddie ihm ins Gedächtnis. »So katastrophal das auch in sozialer Hinsicht ist. Sie ist so groß wie eine Kokosnuß«, stellte er, noch immer tastend, fest. — »Ich dachte, eher wie ein Golden Delicious«, entgegnete Biggin.
    »Es handelt sich um mein Abdomen, nicht um einen Obststand«, betonte Roland.
    »Vielleicht ist es Malaria?« vermutete Biggin. »Warst du im Sommer in den Tropen auf Urlaub?«
    »Du weißt ganz genau, daß ich in Devon war. Einen Monat lang - auf Kur.«
    »Oh, an solchen Orten kann man sich alle möglichen unangenehmen Dinge holen«, versicherte ihm Biggin. »Wir müssen eine Blutprobe machen. Injektionsspritze, groß.«
    Roland wand sich. »Du weißt auch ganz genau, daß ich neurotisch reagiere, wenn ich ans falsche Ende einer spitzen Nadel gerate.«
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ihn mal abtaste, Doktor?« Mr. Windows erschien mit einer großen Injektionsspritze. »Schon seit Wochen sage ich, daß es den armen Doktor diesmal anständig erwischt hat.«
    »Nur zu«, forderte Freddie ihn großzügig auf.
    »Rotz«, stellte Mr. Windows, die Hand auf der bloßen Haut, fest.
    »Wenn das so ist, dann sollten wir ihn satteln«, sagte Biggin. »Das haben Pferde. Nur ein kleiner Stich. Man spürt überhaupt nichts.«
    »Auch das erzählt man den Patienten«, fuhr Roland ihn gereizt an. Die Nadel drang ins Fleisch. Er schrie auf.
    Erzdiakon Bellwether blieb wie erstarrt auf der Schwelle der Praxis stehen. »Eine arme Seele«, murmelte er ängstlich. »Vielleicht in Todesqualen.«
    Er zog am Glockenstrang. Ihr gebrochener Klang hatte auf ihn dieselbe Wirkung wie eine Glockenboje auf einen verängstigten Matrosen an einer Felsenküste. Als er die Eingangstür aufstieß, drang ein weiterer Aufschrei aus dem
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