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The Doors

The Doors

Titel: The Doors
Autoren: Greil Marcus
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einleitender Fanfare verweilen und sie noch einmal hören wollen; sie würde den Song blockieren. Doch man vergisst sie.
    Morrison jagt wie eine Geistererscheinung durch die ersten Strophen und Refrains, ein fliegender Teppich auf seinem Weg zu einem anderen Ort, und dann steigt Manzarek in sein Solo ein. Sein Sound hat etwas Billiges an sich, klingt fast ein wenig nach Question Mark & the Mysterians – im einen Ohr des Zuhörers hört sich die blecherne, schrille Orgel stets gleich an, doch im anderen ist sie keineswegs langweilig, sondern offenbart Texturen, Tonartverschiebungen und Blickwinkel, die sich unablässig verändern, dermaßen schnell, dass man ihnen kaum zu folgen vermag, ein Auto, das die Canyonstraßen rauf- und runterrast und dann, zu mitternächtlicher Stunde, den Pacific Coast Highway entlangsaust, ein Porsche Spyder, der holzverkleidete Kombi von Jan & Dean, ein mit einem Zebrafellmuster bemalter Leichenwagen, alles, was einen Motor und vier Räder hat: Bis zum Ende von Manzareks Solo hören beide Ohren beides gleichzeitig.
    Wenn Krieger nach etwa drei Minuten auftaucht, kommt das einigermaßen überraschend, denn inzwischen hat man vergessen, dass in der Musik eine Gitarre vorkommt. Krieger – der während Manzareks Solo im Hintergrund Akkorde anschlägt, die genauso eintönig sind wie das Bass-Keyboard, mit dem Manzarek den Rhythmus akzentuiert – ist aus seinem eigenen Song verschwunden, und wenn er dann plötzlich auf der Bildfläche erscheint, ist das mehr als eine Überraschung: Es ist ein Schock. Dies ist die Musik von jemandem, der hoch zu Pferde sitzt, die pure Vollkommenheit, eine Musik, die nichts überstürzt, so majestätisch wie eine marmorne Freitreppe, eine originalgetreue Kopie der Nike von Samothrake , oder wie Eric Claptons Soli in »All Your Love« und »Spoonful«: eine Musik, die dem, was Manny Farber eine »Kunst à la weißer Elefant« nannte, so nahekommt, die dem Unsterblichen so nahekommt, dass sie ihr Leben lang im Radio zu hören sein wird, ohne dass ein Ton den ihm folgenden jemals vorausahnen lässt.
    Im April 1970, in Honolulu, dehnte die Band den Song auf fast einundzwanzig Minuten aus. Als Krieger nach siebeneinhalb Minuten in sein Solo einstieg, steuerte er die Musik in Richtung »My Favorite Things«; zwei Minuten später spielte er hart und konzentriert, auf der Suche nach einem Puls, den der Song möglicherweise immer versteckt gehalten hatte, und nach zwölf Minuten flog Krieger noch immer dahin. Er eroberte seinen Song zurück; zu diesem Zeitpunkt hat man vergessen, das Jim Morrison jemals bei dieser Performance mitgewirkt hat, und so ist es diesmal ein Schock, wenn Morrison nach mehr als vierzehn Minuten zurückkehrt, wie aus der Versenkung oder vom Backstagebereich oder von der Herrentoilette, um den Song wieder an sich zu reißen und ihn zuerst in »Fever«, dann in »Summertime« und schließlich in die Doors-Nummer »Love Hides« übergehen zu lassen.
    1966, im Studio, gibt es jedoch keine Erklärung für die souveräne Art und Weise, auf die Krieger dem Song seinen Stempel aufdrückt: Die Linien, die er entwickelt, sind in klanglicher Hinsicht so klar, in emotionaler Hinsicht so transparent, dass man befürchtet, das gesamte Gebilde könnte auf der Stelle zusammenbrechen, als er eine schnelle, dichte Abfolge von Tönen spielt. Dann fließt alles wieder so ruhig dahin wie zuvor. Die Küstenstraße reicht nun tiefer in die Nacht hinein, als man sehen kann, ja, sogar tiefer, als man sich es vorzustellen vermag, und Manzarek surft hinter Krieger her – die von ihm erzeugten Orgelklänge tauchen auf und verschwinden wie von Geisterhand, ohne eigenen Willen, getragen von Kriegers Wellen, ein breites Lächeln, ein einziges Vergnügen, ein schwereloses Dahingleiten im Wasser, und man fragt sich womöglich: Wie kann das jemals enden? Wie können die Musiker da jemals wieder rauskommen? Wie können sie jemals zum eigentlichen Song zurückkehren? Das Ganze erinnert an einen Film, den man schon hundertmal gesehen hat und bei dem man noch immer nicht glaubt, dass das, was als Nächstes geschieht, tatsächlich geschehen wird, dass man nichts daran ändern kann, dass man den Schuss, das Zuschlagen der Tür, den Sturz vom Glockenturm nicht verhindern kann.
    Sie kehren zum Song zurück, nachdem Krieger abrupt angehalten hat, wie vor einer Straßensperre – es ist die einzige dissonante Stelle des Songs. Doch sobald Krieger auf die Bremse getreten ist, erhöht John
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