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Schockstarre

Schockstarre

Titel: Schockstarre
Autoren: F Schmöe
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1. Offene Rechnungen
    Freitag, 7. 1. 2005, 17:01 Uhr
     
    Katinka Palfy saß im Mantel an ihrem Schreibtisch, einen Becher Kaffee in den klammen Händen, und studierte angespannt die Ausdrucke ihrer aktuellen Einnahme-Überschuss-Rechnung. Mit dem Ellenbogen schob sie ein paar Blätter hin und her, löste widerwillig die rechte Hand von dem heißen Becher und fuhr mit dem Finger über die Ziffernreihen.
    »Ich kapier das nicht«, murmelte sie und kuschelte sich tiefer in ihren Mantel.
    Gerade vor einer halben Stunde hatte sie den Auftrag einer Versicherung abgeschlossen, erfolgreich, wie sie fand. Weniger würde sich allerdings der Simulant gefreut haben, der mit angeblich zu siebzig Prozent geschädigten Bandscheiben flugs zur Pensionierung durchschreiten wollte, sich aber nicht zu schade war, zwei bauchige Partyfässer in seinen Kombi zu laden. Sie hatte die Fotos gleich an die Versicherung weitergeschickt. Um ehrlich zu sein: Sie kam sich ein wenig schofel vor, die Lebenspläne eines Mittfünzigers durchkreuzt zu haben. Selbst für einen Versicherungsbetrüger konnte sie eine Prise Mitleid empfinden. Dennoch war die Versicherung als Kunde ein dicker Fisch, den sie in ihrem Netz zappeln wissen wollte. Lebenstraum hin oder her. In ein paar Tagen würde sie die Kohle der Versicherung auf ihrem Konto vorfinden. Ganz anders als die Summe, die sie in ihren Unterlagen suchte. Offene Rechnungen wurden allmählich zum Alltag.
    Ärgerlich fuhr Katinka sich durch das kurze Strubbelhaar und griff nach ihrer Brille. Sie langte ins Leere.
    Lächelnd sah sie auf, vergaß die Papiere und schickte genießerisch ihre Augen durch ihr Büro, so wie ein Wanderer nach dem Aufstieg vom Gipfel ins Tal schaut. Nicht, dass der kleine Raum in der Hasengasse 2a ein besonders apartes Büro gewesen wäre, im Gegenteil: Die Einrichtung stammte größtenteils vom Trödelmarkt. Zwei Besuchersessel, Regale mit Nachschlagewerken, Schreibtisch und Bürostuhl, ein IKEA-Kleiderständer, dazu ein noch jungfräulicher Terminplaner für 2005 an der Wand und ein Dalí-Poster. Katinkas Begeisterung galt vielmehr ihrem völlig neuen Sehgefühl. Zu ihrer großen Freude hatten ihre Augen sich umgehend an die lang ersehnten Kontaktlinsen gewöhnt, sie setzte sie mit Leichtigkeit morgens ein, nahm sie abends genauso einfach wieder heraus, und mittlerweile kam es ihr vor, als habe sie niemals ein Brillengestell auf der Nase gehabt. Ab und zu freilich verfolgten sie die stereotypen Bewegungen aus alten Zeiten: Brille abnehmen, zurechtrücken, am Pulli abwischen. So wie jetzt.
    »Denkste«, sagte sie zu sich selbst, zog fröstelnd die Schultern hoch und wandte sich wieder ihren Unterlagen zu. Seit mehr als drei Monaten wartete sie auf eine Überweisung. Viertausend Euro Honorar für einen kniffligen Auftrag, bei dem sie sich einmal mehr Feinde gemacht hatte. Schließlich mochte es kein Außendienstler, wenn er dabei ertappt wurde, wie er für die Konkurrenz tätig war, ohne dass sein Arbeitgeber es wusste, und dabei auch noch eine fantastische Anzahl von Arbeitsstunden und Kilometern geltend machte. Nach seinem Rausschmiss war der Mann in der Detektei aufgekreuzt und hatte sich alle Mühe gegeben, Katinka zur Schnecke zu machen. Am liebsten hätte sie den viertausend noch eine Schmerzensgeldforderung in gleicher Höhe folgen lassen, doch nun wäre sie schon froh, überhaupt einen Zahlungseingang auf ihrem Konto vorzufinden. Sie hasste den Papierkram, sie hasste es, ihrem Geld hinterherzulaufen. Es wurde tatsächlich Zeit, dass sie ihre Rechnungen außer Haus gab. Energisch öffnete sie die Schreibtischschublade und fischte die Gelben Seiten heraus.
    »Inkassobüros«, murmelte sie und ging die Spalten durch. »B … B wie Bamberg. Hier haben wir’s ja.«
    Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken.
    »Ja?« Draußen war es mittlerweile vollkommen dunkel. Der Januarnachmittag hockte in der engen Gasse. Vorsicht, mahnte sie sich. Sie trug die Waffe immer bei sich und war obendrein schnell im Zielen. Ein Spleen. Klar. Aber sie dachte an den Außendienstmitarbeiter.
    Jemand drückte die Tür auf und trat ein. Erleichtert ließ Katinka Luft ab und stand auf. Eine junge Frau, das kurze, blonde Haar nass vom Regen, gekleidet in einen dicken Daunenanorak, Jeans und Stiefel, sah sich unsicher um und fragte: »Sind Sie Frau Katinka Palfy?«
    »Ja, die bin ich. Bitte«, Katinka drückte ihr die Hand und wies auf einen der Besuchersessel, »setzen Sie sich. Leider
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