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The Doors

The Doors

Titel: The Doors
Autoren: Greil Marcus
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geht, sich die Welt zu eigen zu machen – etwas, was der Song, während Morrison in die Musik eintaucht, selber vorzuschlagen scheint. Ist dies nicht, was ein Mann tun sollte? Sagt der Song, dass dem, was ein Mensch tun kann, irgendwelche Grenzen gesetzt sind? Nein, ganz im Gegenteil. Im Chaos der ihn umgebenden Geräuschkulisse geht Morrison voll aus sich heraus, so als sei er der Erste, der entdeckt hat, was diese Nummer schon immer sagen wollte, und der sich traut, es laut auszusprechen.
    In Miami fliegt schließlich alles in die Luft, doch der Ärger begann schon früher. Am 15. September 1968 verlor Morrison in Amsterdam das Bewusstsein, nachdem er, um unbehelligt durch den Zoll zu kommen, seinen Drogenvorrat vorsichtshalber hinuntergeschluckt hatte; er konnte nicht auftreten, und so musste Ray Manzarek jeden Song ihres Sets singen, was die zum Trio geschrumpften Doors in eine Kneipenband verwandelte, die Doors-Songs coverte. Überall wird die Distanz zwischen der Band und ihrem Publikum offenkundig, auch, auf eine eher symbolische als reale Weise, in der Distanz, die in der Musik selber zutage tritt, Abend für Abend, bei fast jedem ihrer Auftritte: in der Art und Weise, wie die Musik gedämpft wird, so als spiele die Band hinter einem Vorhang, während der Sänger davorsteht, sich aber hin und wieder den Vorhang schnappt, um sein Gesicht damit zu bedecken.
    Boot Yer Butt! ist chronologisch geordnet, mit Ausnahme des allerletzten Songs: »The End«, vom 2. August 1968 in der Singer Bowl in Queens, New York. Weil jede Version der Karriere der Doors mit »The End« ausklingen muss? Weil diesen bizarren, hässlichen siebzehn Minuten nichts anderes mehr folgen konnte?
    Robby Kriegers einschmeichelnde Gitarrenlinie ist klar und deutlich; der filigrane Schnörkel, den er spielt, ist das Startzeichen für den Song. Das Publikum ist laut, betrunken. Die Leute krakeelen. »Come on, Jimmy!«, schreit ein Mann. »Jimmmmyyyyayyyyyy, light my fire!«, kreischt eine Frau. Sie klingt wie eine Patientin, die durch den Korridor einer Nervenheilanstalt flitzt und von Pflegern verfolgt wird, die ihr eine Beruhigungsspritze verpassen wollen. »Das haben wir doch gerade erst gespielt«, sagt Morrison vernünftig. Dann ertönt ein organisierter Sprechchor, fünf oder sechs Leute, die unisono »Come on light my fire!« schreien. »Hey«, sagt Morrison, wobei er ein bisschen überrascht klingt. »Jetzt reißt euch mal zusammen!« Das Geschrei ebbt jedoch nicht ab. » SSSSHHHHHHHH «, flüstert Morrison ins Mikrofon.
    »Fuck you!«, schreit jemand.
    Der Sound ist jetzt gedämpft, Morrisons Worte sind nicht zu verstehen. Er versucht, sich in dem anschwellenden Lärm Gehör zu verschaffen. »Hey, damit macht ihr alles kaputt«, sagt er. » SSSSHHHHHHHH «, flüstert er ein weiteres Mal. Die Band hält hinter ihm den Takt. Inzwischen sind mehr als zwei Minuten verstrichen, und sie haben noch immer nicht mit dem Song anfangen können.
    »This is the end«, singt Morrison, klar und deutlich – der Sound kommt laut und satt rüber. Die Menge ist ruhig, doch Morrison klingt abwesend, so als habe er den Glauben an den Song verloren, den Glauben daran, dass es sich lohnt, den Song zu singen. »You’ll never follow me«, singt er. »Du kannst uns mal!«, schreit jemand. Morrison versucht zu singen, doch er kann den Song nicht finden. Seine Stimme klingt eher wie die eines Redners. Die Frau aus der Klapsmühle rennt kreischend durch die Halle, und man kann nicht sagen, ob sie glaubt, dass sie auf der Bühne sei oder dass die Leute auf der Bühne sie umzubringen versuchen. Morrison improvisiert einen Text, der sich in wirren Knittelversen auflöst. Die Leuten scheinen es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen: » MORRISON IST IN SEINER HÖHLE! « Und, falls ich mich nicht verhöre: » HOCH DIE MARSIANER! NIEDER MIT– «
    Morrison – die Band ist inzwischen kaum noch zu hören – versucht, sich über den Lärm zu erheben, doch das schneidende Kratzen der Frauenstimme, ein Geräusch, das sich so anfühlt, als würde einem jemand mit den Fingernägeln übers Gesicht fahren, lässt das nicht zu. Allmählich lernt man diese Leute kennen, diese kleine, repräsentative Gruppe, die sich aus dem Hexenkessel der Aufnahme herausschält. Das Ganze ist ein wilder Moshpit, nur dass hier Geräusche mit voller Wucht aufeinanderprallen. Die Leute brüllen Parodien auf die Textzeilen, die Morrison nicht singt. In dieser dunklen Stunde ist seine Präsenz
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