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The Doors

The Doors

Titel: The Doors
Autoren: Greil Marcus
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Isolation nachdenken kann, über die Vollkommenheit seiner eigenen Entsagungen, seiner eigenen Schönheit –, an diesen Stellen ist Morrisons Stimme voll, samtweich, eine tiefe Quelle. Man könnte eine Münze in den Teich seiner Stimme werfen, und man würde sie nie aufklatschen hören. Während sich die Stimme bei bestimmten Wörtern oder Silben öffnet – »friend«, »only«, »die« –, verändern diese Wörter ihre Form, gleiten hinaus in die leeren Räume, die sich in der Musik auftun. Die Art und Weise, wie Morrison das Wort »end« beim ersten »This is the end« von den vorausgehenden Wörtern abhebt – als wollte er sicherstellen, dass einem die Wichtigkeit dieses Worts auf gar keinen Fall entgeht –, riecht nach schlechter Lyrik, hat etwas Falsches, Gekünsteltes an sich; das schlichte, nüchterne »my only friend« zieht das » the end « jedoch augenblicklich auf die Ebene des normalen Lebens hinab, heißt den Zuhörer in dem Song willkommen, lässt die Wörter frei, damit sie sich ihre Reisegefährten suchen können. Kein Element in der Musik scheint irgendein anderes zu antizipieren oder herbeizubeschwören; die Performance ist ein Tanz um ein Feuer, bei dem das Tempo von den stiebenden Funken bestimmt wird, die nicht antizipiert werden können, die niemals dieselben sind – was sich erst ändert, wenn der Sänger zu der Passage in der Mitte des Songs gelangt, wo er sagt, er wolle seinen Vater töten und seine Mutter ficken.
Anmerkung
Die Vorstellung, dass der Sänger hier die Ermordung der Familie Clutter nachempfindet, mit einem Mitglied der Familie als dem Täter – der wirklich verstörende Moment in diesem Abschnitt des Songs –, wird kaputt gemacht durch den abgeschmackten Einfall, Ödipus in das Drama hineinzuzerren: Der Sänger geht in aller Ruhe in das Zimmer seiner Schwester und dann in das seines Bruders, und wenn er dort herauskommt, weiß man nicht, ob er seine Geschwister getötet oder ob er sich bloß vergewissert hat, dass sie schlafen, doch wenn er sich dann zu seinem Vater und zu seiner Mutter begibt – wenn er zu der, wie es ein Freund von mir nennt, »›Hello Fadduh, Hello Mudduh!‹-Szene« gelangt –, dann merkt man, dass man diese Geschichte bereits kennt. Hat die prächtige Hervorhebung einzelner Wörter anderswo ein Drama ergeben, das viel reichhaltiger ist als das hier, so verwandelt sie diesmal den weißen Marmor von Michelangelos David in den Gips der Statuetten, die man im Souvenirladen kaufen kann.
    Minuten später, wenn sich die Musik für ihr furioses Crescendo sammelt, findet das eigentliche Drama statt. Krieger, Manzarek und Densmore entwickeln eine sich ständig steigernde, zentrifugale Dynamik, einen gewaltigen Sog, der seinen eigenen Urknall erzeugen wird, eine Explosion, bei der die einzelnen Teile regelrecht auseinanderfliegen. Morrison ist derjenige, der den Rhythmus kontrolliert. Sein üblicher, auf einem Bein und mit ausgestreckten Armen vollführter Bühnentanz spielt sich nun auf seiner Zunge ab: »Fuck, fuck, fuck, fuck«, schnappt und knurrt er, wobei er in einen Spiegel spricht und ausprobiert, wie sich das Wort in seinem Mund anfühlt, bis er das gleiche scharfe, synkopierte Schnalzen findet, mit dem Krieger in das Thema eingestiegen ist. Das Wort fuck ist tief in den Sound eingebettet, vergraben, verändert aber jedes Mal, wenn Morrison es ausspuckt, instinktiv seine Form – es verkürzt sich, fuk , es verzerrt sich, fut , es zerspringt, fak , es rollt sich in sich zusammen, fug .
    Dann verlangsamt sich alles wieder, und der Song kehrt zu den lockenden, verheißungsvollen Klängen zurück, mit denen er begonnen hat. Von wo auch immer man aufgebrochen ist, man ist an einen anderen Ort gereist, und es ist kein bisschen Zeit vergangen. Wie die Leute vom Firesign Theatre ihren Professor sagen ließen, als dieser in seine Zeitmaschine stieg: »Ich werde tausend Jahre lang weg sein, doch euch wird es nur wie eine Minute vorkommen.«
    »The End«, The Doors (Elektra, 1967, und 2006, »40th anniversary mix«).

    Richard Huelsenbeck: »Dadaistisches Manifest« (1918), in ders. (Hrsg.), Dada Almanach (1920), unveränderter Reprint, Edition Nautilus, Hamburg 1987, S. 36.

    Allan Sherman: »Hello Mudduh, Hello Fadduh!« (Warner, 1963, # 2).

    Firesign Theatre: »The Future Adventures of Nick Danger«, auf How Can You Be in Two Places at Once When You’re Not Anywhere At All ? (Columbia, 1969). Ein anderes Album dieser Comedy-Truppe, Everything You Know
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