Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Doors

The Doors

Titel: The Doors
Autoren: Greil Marcus
Vom Netzwerk:
das die Band im August des Vorjahrs aufgenommen hatte, kurz nach der berühmt-berüchtigten Premiere des Songs im Whisky à Go Go am Sunset Strip. In der Studioversion erstreckt sich »The End« über fast zwölf Minuten; Kriegers einleitende Gitarrentöne lassen erahnen, dass das folgende Stück die Dimensionen einer herkömmlichen Rock-’n’-Roll-Nummer sprengen wird. Ein Tamburin erklingt und verzieht sich zischend an die Peripherie des Sounds, wie etwas aus Robert Johnsons »Come on in My Kitchen« – eine Klapperschlangenversion von Johnsons geflüstertem »Can’t you hear the wind howl?«, mit dem er diese makellose Aufnahme beinahe zum Stillstand bringt.
    »Specialize in having fun!«, sang Jim Morrison in »Take It as It Comes«, dem vorletzten Track des Albums; die Worte passten nicht zur Musik. Die Band war leichtfüßig und zugleich unnachgiebig, und das, was man, wie der Songtitel sagte, nehmen musste, wie es kam, fühlte sich düster an, hart und unwiderstehlich, wie ein Test, wie etwas, auf das man nicht vorbereitet war.
    »The End« war der Test. Nach etwa zwei Minuten spielt Krieger eine atonale Figur, die sich von einem gleichmäßig ablaufenden Beat abhebt, und Ray Manzarek bewegt sich ruhig hinter Krieger voran, ein grüner Fluss in der Höhle des Songs – und obwohl fast anderthalb Minuten verstreichen, hat man nicht das Gefühl, dass die Zeit vergeht. John Densmore trommelt dazu den Offbeat, wobei er lauter und lauter wird und den Sound zerbricht, bis man sein Schlagzeug förmlich umkippen sieht, wie das von Keith Moon, und schließlich ist der Sound so gewaltig, dass man eine Lawine von Trommeln zu sehen glaubt, die die anderen Musiker unter sich begräbt.
    Dieser Moment wiederholt sich; Ereignisse wie dieses verteilen sich über die gesamte Dauer von »The End«. Im Verlauf der Nummer wird es immer wieder Vorfälle geben, bei denen man das Gefühl hat, dass sich die Performance jeden Augenblick selber in Stücke reißen wird. Es ist eine Frage des Rhythmus. Das furiose, unglaublich ausgedehnte Crescendo, mit dem der Song seinem Ende entgegensteuert, eine Synkopierung, die von ihrer eigenen Dynamik mitgerissen wird, ein Mahlstrom, der jeden der Musiker dazu auffordert, nicht nur mit dem Tempo der anderen mitzuhalten, sondern dabei auch noch seine eigenen Bilder zu zeichnen – das ist auf gewisse Weise auch eine Entspannung, denn diese Synkopierung gibt der Musik eine feste Grundlage, auf die man sich verlassen kann, etwas, was man selber erfassen kann.
    In »Take It as It Comes« gab es aufregende Pausen, wenn die Band sich selbst zurücknahm, wenn sie dem Song freien Lauf und sich von ihm sagen ließ, wohin sie ihn als Nächstes führen sollte. Instrumente setzten aus, doch es wurde immer ein Puls beibehalten: »Take It as It Comes« war besser als fast alles, was im Radio lief, aber es war keine neue Sprache, keine Fremdsprache, die man erst noch lernen musste. In »The End« waren die Pausen Verkehrsunfälle, Kollisionen – das, was der Berliner Dadaist Richard Huelsenbeck 1918 als eine Kunst bezeichnete, »die ihre Glieder immer wieder unter dem Stoß des letzten Tages zusammensucht«.Den gesamten Song hindurch, bis zu jener finalen Eruption, scheint alles zögerlich, ungewiss, unklar; das ist die Quelle der Kraft des Songs, seiner uneingeschränkten Bejahung von Finsternis, Hoffnungslosigkeit und Angst, und es ist dieses Beharren auf dem Ungewissen, diese Bereitschaft, sich auf das Unbekannte einzulassen, die die Performance davor bewahrt, in Kitsch und Melodramatik abzugleiten. Morrisons Worte erwecken den Eindruck, als improvisiere er sie, um sie den Rhythmen, die um ihn herum Gestalt annehmen, anzupassen oder um diese Rhythmen zu konterkarieren: das träge, verschlafene »The west – is the best«, gefolgt von dem abrupten Sprung, mit dem die letzten fünf Wörter von »Get here – and we’ll do the rest« die ersten zwei hinter sich herziehen wie ein Gewicht, das ein Haus über den Rand einer Klippe in die Tiefe reißt. Da ist die entspannte Jagd nach einem blauen Bus, eine Jagd, die sich so darstellt, dass jemand langsam, bedächtig geht, egal, wie schnell der Bus fährt, denn dieser Mensch weiß, dass er ihn früher oder später erwischen und besteigen wird.
    An den Stellen des Songs, die offenbar am wichtigsten sind – am Anfang und am Ende, wo »my only friend« in den Song gebracht und dann daraus verbannt wird, sodass der Sänger über die Vollkommenheit seiner eigenen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher