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The Doors

The Doors

Titel: The Doors
Autoren: Greil Marcus
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Jahren voll verfilmter Reiseberichte mit Hula-Hoop-Reifen und Shrimps, mit Impressionen aus einer Welt, wo eine Autorennbahn lediglich ein weiterer Badestrand war oder wo Elvis, wie er es einmal selbst formulierte, irgendwelche Typen vermöbeln musste, bevor er ihnen etwas vorsang. Doch als er 1968 »One Night« sang, da kehrte genau jenes Gefühl von Ehrfurcht und ungläubigem Erstaunen zurück, das Elvis zu Beginn seiner Karriere entgegengeschlagen war – ein Gefühl, das sich bei diesem TV -Auftritt bereits vorher angedeutet hatte, als er die Gebirgsketten überstieg und die Flüsse durchwatete, die die Grenzen von »Tryin’ to Get to You« markierten, wobei er immer wieder auf Jimmy Reeds »Baby What You Want Me to Do« zurückkam, als wäre es ein Talisman eines Schatzes, den er nicht zu benennen vermochte, und er dem Song jedes Mal mehr Tiefe verlieh und Wörter wegließ auf der Suche nach einem Rhythmus, von dem der Song noch nicht einmal ahnte, dass er danach verlangte, aber ohne den er jetzt nicht mehr auskommen konnte.
    In den Jahren davor – bevor Elvis sich, wie es hieß, von den üppig sprudelnden Geldquellen Hollywoods und New Yorks zu einem Würstchen machen ließ – hatte seine 1955 für Sun Records in Memphis aufgenommene Version von »Mystery Train« nach und nach eine Patina der Reinheit angenommen. Die Aufnahme war von einer Eleganz gekennzeichnet, die nicht zu leugnen war. Elvis’ direkter, aufrichtiger Tonfall und die sparsame musikalische Begleitung hüllten die Performance in einen Schleier von Einfachheit und Unbestimmbarkeit: Wie konnte etwas so Schlichtes dermaßen unergründlich wirken? Die coolsten DJs, die feinsinnigsten Connaisseurs erkoren »Mystery Train« zu ihrem einzigen transzendenten Elvis-Objekt – nicht, so schien es, um auf das Genie hinzuweisen, das ein armer Junge vom Land für Geld und Ruhm geopfert hatte, sondern um zu verdeutlichen, dass selbst der dümmste Bauer für einen kurzen Moment des Erhabenen teilhaftig werden konnte.
    »Mystery Train« war ein Elvis ganz nach dem Geschmack der Bohemiens: ein kleines, handwerklich perfekt gemachtes Kunstwerk, mit einem Schuss Unwahrscheinlichkeit, der es aus dem Reich des Handwerklichen heraushob und zu einem Ereignis avancieren ließ, zu etwas, das nicht wiederholt und auch nicht wieder rückgängig gemacht werden konnte, sobald es einmal in die Welt gesetzt worden war. Die Eingeweihten feierten Elvis’ »Mystery Train« auf die gleiche Weise, auf die sich die argentinischen Intellektuellen und Dandys in Julio Cortázars Rayuela: Himmel und Hölle in ihrem Pariser Exil für Bix Beiderbecke und Bessie Smith begeistern, doch von alldem war in Jim Morrisons »Mystery Train« nichts zu spüren. Er hatte seine eigene Elvis-Obsession – seit den Tagen, als »Heartbreak Hotel« weltweit im Äther erklungen war, hatte es keinen Rock-’n’-Roll-Sänger gegeben, der so sehr an Elvis erinnerte wie Morrison, der das gleiche, an einen griechischen Gott erinnernde Aussehen und den gleichen verführerischen, unter schweren Lidern hervorblitzenden Vampirblick aufwies; und wie Elvis strahlte auch er die Verachtung aus, die schöne Menschen der gewöhnlichen Welt entgegenzubringen pflegen. Doch so wie er »Mystery Train« behandelte, schien der Song selber ein verachtenswertes Objekt zu sein: etwas, was kaputt gemacht werden musste. Das Konzert in Miami, das Morrison eine Anklage wegen unsittlicher Entblößung und den Doors ein landesweites Auftrittsverbot eingebracht hatte, lag über ein Jahr zurück. Schon lange davor war Morrison betrunken auf die Bühne gestolpert, manchmal lallend, wild um sich schlagend, wobei er mal auf das Publikum einhieb und mal auf Phantome, die nur er sehen konnte; er erschien auf der Bühne in einem Nebel von Selbsthass, und er konnte die Songs, die er singen musste, genauso abgrundtief hassen, wie er seine Bandkollegen, das Publikum und sich selbst hassen konnte. Während er sich durch »Mystery Train« hindurchtastet, vermittelt die Performance das Gefühl, dass der Song jemanden benötigt, der sich Elvis Presley so nahe fühlt, wie Jim Morrison es möglicherweise tut – um dem Song die Lüge aufzuzeigen, die er schon immer enthalten hat: Vergiss die Kunst! Du bist ein Würstchen. Ich bin ein Würstchen. Die Welt ist nichts als Fleisch.
    Vor diesem Hintergrund versucht die Band, den Song zurückzuerobern, wann immer Morrison ihn ihr überlässt, und das gelingt ihr auch jedes Mal. Und dann drängelt
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