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The Doors

The Doors

Titel: The Doors
Autoren: Greil Marcus
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Morrison sich wieder in die Performance zurück, um zu spucken, um zu stolpern, um die anderen aus dem Takt zu bringen. Dieser Hochmut, diese Verachtung war beinahe von Anfang an präsent – die Weigerung, eine Art von Schönheit, die abstrakte Schönheit der Kunst, anzuerkennen, während man gleichzeitig aus einer anderen Art, der physischen Schönheit des Körpers, Kapital schlägt.
    Am 10. Dezember 1967 kam Otis Redding bei einem Flugzeugabsturz über einem See in Wisconsin ums Leben. Der größte Soulsänger seit Sam Cooke war zum Zeitpunkt seines Todes erst sechsundzwanzig, doch die Risse und Sprünge in seiner Stimme ließen ihn wesentlich älter erscheinen – wie jemanden, der mehr als nur ein Leben gelebt hatte, wie jemanden, der die moralischen Dramen von »I’ve Been Loving You Too Long (To Stop Now)«, »Pain in My Heart« und »These Arms of Mine« am eigenen Leib erfahren hat. In »Try a Little Tenderness« und in »I’ve Got Dreams to Remember« legte er die gleiche Eleganz an den Tag, die Elvis’ »Mystery Train« verströmt wie ein Parfüm – dieses Gefühl eines perfekten Gleichgewichts inmitten einer Musik, die einem verspricht, dass sie jederzeit überall hingehen könne. Und deshalb war es bizarr – ja, man traute seinen Ohren kaum –, als Jim Morrison kaum zwei Wochen später mit den Doors auf die Bühne des Winterland in San Francisco kam und zwei umformulierte Zeilen aus Leadbellys »Poor Howard« durch das PA -System in den Saal schickte, zwei Zeilen, die nun selbstgefällig und anzüglich klangen, ein Leadbelly-Song, der sich wie das Sauflied einer Studentenverbindung anhörte: »Poor Otis, dead and gone / Left me here to sing his song.« Als ob er das gekonnt hätte!
    Auf Reddings Grab zu pinkeln – das war mehr als arrogant, mehr als unangenehm, es ging sogar über Rassismus hinaus oder über den Anbiederungsversuch eines weißen Sängers, der einen schwarzen Sänger wie einen Bruder umarmte. Aber vielleicht verhielt es sich ja auch so, dass Morrison mimte, wie er auf sein eigenes Grab pinkelte – als er starb, sollte er kaum ein Jahr älter sein, als es Redding zum Zeitpunkt seines Todes gewesen war. Womöglich könnte eines Tages jemand daherkommen und »Poor Jim, dead and gone ...« singen.
    Es gibt ein Echo jenes Moments – jener Vorhersage –, wenn Morrison an jenem Abend in Pittsburgh nach elf Minuten von »Mystery Train« in »Bullfrog Blues« hineinstolpert, falls das der Song ist, in den er hineinstolpert, und er statt der klassischen Blueszeilen »Woke up this morning, bullfrogs on my mind« die Abwandlung »Woke up this morning, the girlfriend on my mind« singt – als sei das, sagt sein Tonfall, gehupft wie gesprungen. »Train I ride, sixteen coaches long / Train I ride, sixteen coaches long«, hatte er begonnen, so wie Elvis, so wie der Bluessänger Junior Parker, als er den von ihm mitverfassten Song zwei Jahre vor Elvis aufnahm. »Well, that mean old train / Took my baby he gone« – Morrison verhaspelte sich im Text, war mit einem Mal ein Mitglied der Golden Chords, im Jahre 1958, als der damals noch als Robert Zimmerman bekannte Bob Dylan den Song umschrieb und ihm den Titel »Big Black Train« verpasste: »Well, big black train, coming down the line / Well, big black train, coming down the line / Well, you got my woman, you bring her back to me / Well, that cute little chick is the girl I want to see.« Als Morrison fortfuhr, schien es so, als holte er aus dem Song eine Geschichte heraus, die dieser bis dahin noch nie erzählt hatte: »Train, train, coming down the line / Train, train, coming down the line / Well, that mean old train took the only friend of mine.« Das war jedoch viel zu beiläufig, zu oberflächlich dahingeworfen, um jemand anders auf den Zug aufspringen zu lassen.
    Aber nun erwacht er mit »bullfrogs« im Kopf. Er übersetzt, was das bedeuten könnte, und er erhellt die alte Redewendung, indem er deren Poesie zunächst in eine alltägliche Sprache überträgt und dann wieder in Poesie: »Well, I woke up this morning, eight miles on my mind« (oder »H-bomb on my mind« oder »Nothing on my mind«). Anschließend kehrt er zum Prosaischen zurück: »I woke up this morning, railroad on my mind.« »Take a little walk with me«, sagt er, um gleich darauf zu einer frei im Raum schwebenden Blues-Formulierung zu greifen, die, je nach Song, Liebe oder Tod bedeuten kann sowie alles dazwischen, eine Zeile, die immer ein Versprechen und zugleich eine
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