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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Autoren: Samantha Shannon
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Um mich abzulenken, musterte ich meinen Ausweis. Darauf waren ein Foto von mir, Name, Adresse, Fingerabdrücke, Geburtsort und Beruf festgehalten. Miss Paige E. Mahoney, eingebürgert, wohnhaft in I-5. Geboren 2040 in Irland. 2048 unter besonderen Umständen nach London gezogen. Beschäftigt in einer Sauerstoffbar in I-4, daher die Reiseerlaubnis. Blond, graue Augen, Körpergröße 1,75 m. Keine besonderen Kennzeichen außer dunklen Lippen, wahrscheinlich hervorgerufen durch übermäßiges Rauchen.
    Ich hatte in meinem gesamten Leben kein einziges Mal geraucht.
    Eine feuchte Hand schloss sich um meinen Unterarm. Ich zuckte heftig zusammen.
    »Ich warte noch auf deine Entschuldigung.«
    Vor mir stand ein dunkelhaariger Mann mit Melone und einer schmutzigen weißen Krawatte. Ich hätte ihn schon an seinem Gestank erkennen müssen: Haymarket Hector, einer unserer weniger hygienischen Rivalen. Er roch immer wie ein übergelaufener Gully. Traurigerweise war er aber auch der Herr der Unterwelt, zumindest nominell der große Boss des Syndikats. Sein Revier war das Viertel Devil’s Acre in der Nähe der Westminster Abbey.
    »Wir haben das Spiel ehrlich gewonnen.« Ich riss mich los. »Hast du nicht irgendwas zu tun, Hector? Zähne putzen wäre nicht schlecht.«
    »Vielleicht solltest du dir besser den Mund auswaschen, kleine Trickserin, und etwas mehr Respekt vor dem Herrn der Unterwelt zeigen.«
    »Ich betrüge nicht.«
    »Oh, das denke ich aber schon.« Er senkte die Stimme. »Da kann dein Denkerfürst noch so viele Starallüren haben, ihr sieben seid nichts anderes als Betrüger und Lügner. Wie man so hört, geltet ihr auf dem Schwarzmarkt als besonders clever, kleine Träumerin. Aber irgendwann seid ihr weg vom Fenster.« Mit einem Finger strich er über meine Wange. »Am Ende sind sie alle weg vom Fenster.«
    »Genau wie du.«
    »Wir werden sehen. Und zwar schon bald.« Sein stinkender Atem streifte mein Ohr, als er flüsterte: »Ich wünsche dir eine sichere Heimfahrt, kleine Schlampe.« Damit verschwand er in dem Tunnel, der zur Oberfläche führte.
    Bei Hector musste man vorsichtig sein. Als Herr der Unterwelt hatte er zwar keine eigentliche Macht über die anderen Denkerfürsten – seine Aufgabe bestand lediglich darin, ihre Treffen anzuberaumen – , aber er besaß viele Anhänger. Er war sauer, seit meine Gang seine Lakaien zwei Tage vor der Naylor-Auktion beim Tarock geschlagen hatte. Hectors Leute konnten es nicht leiden, wenn sie verloren. Jaxon war da keine Hilfe, er provozierte sie nur noch mehr. Die meisten von uns hatten es geschafft, ihren Rachegelüsten zu entgehen, vor allem, indem sie der Gang aus dem Weg gingen, aber Jax und ich waren einfach zu trotzig dafür. Die Fahle Träumerin, wie man mich auf der Straße nannte, stand ganz oben auf ihrer Liste. Wenn sie mich jemals erwischten, war ich so gut wie tot.
    Der Zug kam mit einer Minute Verspätung. Erschöpft ließ ich mich auf einen Sitz fallen. In diesem Waggon war nur noch ein anderer Fahrgast: ein Mann, der den Daily Descendant las. Er war ein Seher, ein Medium, um genau zu sein. Augenblicklich war ich angespannt. Jax hatte einige Feinde, und viele Seher wussten, dass ich in seiner Gang war. Außerdem wussten sie, dass ich Gemälde verkaufte, die unmöglich echte Werke von Pieter Claesz sein konnten.
    Ich holte mein Datenpad aus der Tasche, ganz normale Standardausführung, und entschied mich für meinen Lieblingsgerichtsroman. Ohne an mich gebundene Geister als Bodyguards bestand mein bester Schutz darin, so normal und amaurotisch zu wirken wie möglich.
    Während ich zu einer bestimmten Stelle blätterte, behielt ich gleichzeitig den Mann im Auge. Mir war klar, dass er mich ebenfalls auf dem Radar hatte, aber keiner von uns sagte ein Wort. Und da er mich noch nicht gepackt und windelweich geprügelt hatte, war er wahrscheinlich kein betrogener Kunstliebhaber.
    Ich riskierte einen Blick auf seinen Descendant , die einzige Zeitung, die noch in gedruckter Form erschien. Papier lud zum Missbrauch ein, während durch die Datenpads garantiert wurde, dass wir nur die wenigen Medieninhalte runterluden, die von der Zensur gebilligt wurden. Mich erwarteten die üblichen, finsteren Neuigkeiten: zwei junge Männer wegen Hochverrats gehängt, verdächtiges Warenhaus in Sektor 3 geschlossen. Außerdem gab es einen langen Artikel, in dem gegen die »widernatürliche« Ansicht vorgegangen wurde, Großbritannien sei politisch isoliert. Der Journalist
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