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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Autoren: Samantha Shannon
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Sauerstoffbar raushaute, war er im Handumdrehen wieder auf der Straße. Viele Leute machten das: Sie schlossen sich an eine Kanüle an und saugten sich stundenlang mit parfümierter Luft voll. Das war die einzig legale Droge in der Zitadelle. Was auch immer er tat, dieser Straßenkünstler war am Ende. Vielleicht war er beim Syndikat rausgeflogen oder von seiner Familie verstoßen worden. Ich würde nicht nachfragen.
    Man fragte nie nach.
    An der Haltestelle I-4B war es meistens voll. Amaurotikern machte es nichts aus, mit der Bahn zu fahren. Sie hatten ja auch keine Aura, die sie verraten konnte. Die meisten Seher mieden öffentliche Verkehrsmittel, aber manchmal war man in einer Bahn sicherer als auf offener Straße. Da sich die NVD in der gesamten Zitadelle verteilte, waren stichprobenartige Kontrollen selten.
    Jede der sechs Parzellen verfügte über sechs Sektoren. Wollte man seinen Sektor verlassen, brauchte man eine Reiseerlaubnis und jede Menge Glück, vor allem nachts. Denn nach Einbruch der Dunkelheit wurden verdeckte Wachen eingesetzt. Diese Unterabteilung der Nachtwache bestand ebenfalls aus Sehern mit der üblichen Lebensgarantie. Sie dienten dem Staat, um zu überleben.
    Für mich war es nie infrage gekommen, für Scion zu arbeiten. Seher waren oft sehr grausam zu ihresgleichen – ich konnte also in gewisser Weise verstehen, warum manche von ihnen sich gegen die eigenen Leute stellten. Trotzdem fühlte ich mich ihnen verbunden. Und ganz sicher hätte ich niemals einen von ihnen verhaften können. Obwohl ich manchmal, wenn ich zwei Wochen am Stück hart gearbeitet hatte und Jax vergaß, mich zu bezahlen, in Versuchung geriet.
    Da mir noch zwei Minuten blieben, prüfte ich vorsichtshalber meine Papiere. Sobald ich durch die Schranke gegangen war, ließ ich die an mich gebundenen Geister gehen. Sie mochten es nicht, wenn man sie zu weit von den Orten entfernte, an denen sie spukten, und wenn ich sie dazu zwang, würden sie mir nicht mehr helfen.
    Ich hatte hämmernde Kopfschmerzen. Was auch immer Dani mir in die Venen gepumpt hatte, verlor langsam seine Wirkung. Eine Stunde im Æther … Jaxon trieb mich wirklich bis an meine Grenzen.
    Auf dem Bahnsteig wurde der Fahrplan auf einem grün leuchtenden Bildschirm angezeigt, ansonsten gab es kaum Licht. Aus den Lautsprechern drang eine Bandaufnahme der Stimme von Scarlett Burnish: »Dieser Zug hält an allen Stationen in Parzelle I, Sektor 4, in nördlicher Richtung. Bitte halten Sie Ihre Fahrkarten bereit. Beachten Sie auch die Mitteilungen auf den Sicherheitsmonitoren. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Abend, vielen Dank.«
    Ich würde ganz sicher keinen angenehmen Abend haben. Meine letzte Mahlzeit war irgendwann am frühen Morgen gewesen. Jax gestand mir nur eine Mittagspause zu, wenn er besonders gut aufgelegt war, was ungefähr so oft vorkam wie blaue Äpfel.
    Auf dem Sicherheitsmonitor erschien eine neue Nachricht. Radiästhetische Erkennungstechnologie. Die anderen Wartenden nahmen keine Notiz davon. Diese Werbung lief hier ständig.
    »In einer so dicht besiedelten Zitadelle wie London liegt der Gedanke nahe, dass der Nebenmann ein widernatürliches Individuum sein könnte.« Grob gezeichnete Silhouetten wurden eingeblendet, von denen jede einen Londoner darstellen sollte. Eine von ihnen färbte sich rot ein. »Sci SORS testet nun den RDT Sensorschirm sowohl im Bereich des Paddington Bahnhof als auch an der Haltestelle Archonitat. Bis 2061 soll der Sensorschirm an achtzig Prozent aller Haltestellen der Zentralparzelle installiert werden, was es uns ermöglichen wird, die Zahl der widernatürlichen Polizeikräfte in der U-B ahn zu reduzieren. Kommen Sie nach Paddington oder fragen Sie den nächsten SVD -Beamten nach weiterführenden Informationen.«
    Es kam noch mehr Werbung, aber diese blieb in meinem Kopf hängen. RDT – kurz für Radiaesthetic Detection Technology – war die größte Bedrohung für die Sehergemeinschaft der Zitadelle. Laut Scion konnte man damit in einem Umkreis von bis zu zwanzig Schritt Auren aufspüren. Wenn bei ihren Plänen nicht noch irgendetwas dazwischenkam, wären wir ab 2061 gezwungen, uns völlig abzukapseln. Und natürlich hatte keiner der Denkerfürsten bisher eine Lösung für das Problem gefunden. Sie hatten nur gestritten, gezankt und sich über ihre Streitereien die Köpfe heißgeredet.
    Auf der Straße über mir vibrierten die Auren. Ich war wie eine Stimmgabel, die durch deren Energie in Schwingung geriet.
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