Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Invasion - 5

Titel: Die Invasion - 5
Autoren: David Weber
Vom Netzwerk:
.I.
 
Der Tempel, Stadt Zion,
die Tempel-Lande
 
    Vor dem Tempel lag selbst für die Stadt Zion der Schnee ungewöhnlich hoch - immerhin war gerade erst Oktober. Und es schneite und schneite und wollte gar nicht mehr aufhören. Der Schnee fiel in dicken Flocken. Der bitterkalte Wind, der vom Peisee hereinpeitschte und dicke Eisschollen ans kältestarrende Ufer trieb, scheuchte tanzende Schneedämonen durch die Straßen. An jedem Hindernis, auf das der Wind stieß, türmte er skulpturenartige Verwehungen mit messerscharfen Risskanten auf. Jedem Passanten biss er mit Eiszähnen schmerzhaft in Hautpartien, die nicht ausreichend geschützt waren. Überall in der Stadt kauerten sich die Ärmsten der Armen dicht an jede erdenkliche Wärmequelle, die sich auftreiben ließ. Doch für allzu viele fand sich nirgendwo Wärme. Zitternde Eltern betrachteten voller Sorge abwechselnd das raue Wetter und ihre Kinder, wann immer sie an die endlosen Fünftage bis zur Rückkehr des Frühlings mit seiner Wärme dachten. Dabei schien ihnen die herbeigesehnte Jahreszeit wie ein halb vergessener Traum, an den man sich kaum noch zu erinnern vermochte.
    Im Inneren des Tempels gab es natürlich keinerlei Kälte. Unter der gewaltigen Kuppel, die sich hoch hinauf dem Himmel entgegenreckte, spürte man trotz ihrer Nähe zu Schnee und klirrender Kälte nicht den kleinsten kühlen Hauch. In diesem Bau, den einst, am nebelverhangenen Morgen der Schöpfung, die Erzengel persönlich an eben diesen Ort gesetzt hatten, herrschte immer die gleiche, perfekte Temperatur, voller Verachtung für das, was das vergängliche Wetter einer sterblichen Welt all dem antun mochte, was sich außerhalb der heiligen Mauern befand.
    Die luxuriösen Privatgemächer, die man den Mitgliedern des Rates der Vikare zugewiesen hatte, waren prächtiger, als jeder Sterbliche sich auch nur im Traum hätte ausmalen können. Einige dieser Suiten aber übertrafen in ihrer Pracht alle anderen. In aller Deutlichkeit zeigte das etwa diejenige, die Großinquisitor Zhaspahr Clyntahn vorbehalten war. Sie lag im fünften Stock, eine Ecksuite. Daher bestanden zwei Wände des großen Wohnzimmers und des Speisezimmers vollständig aus Fenstern. Es waren die unzerstörbaren, fast gänzlich unsichtbaren Fenster, die einst die Erzengel persönlich geschaffen hatten. Von innen waren die Scheiben dieser wundersamen Fenster völlig durchsichtig - und das, obwohl sie das einfallende Sonnenlicht wie Wände aus hochglanzpoliertem Silber zurückwarfen. Staunenswert war auch, dass sie keine Spur von Hitze - und ebenso wenig von Kälte - hereinließen, die jegliches Glas, das von Menschenhand geschaffen war, doch stets zu durchdringen vermochten. Überall Luxus und höchste Ästhetik: auf den Böden lagen dicke Teppiche; Kunstwerke, Gemälde ebenso wie Statuen, waren allesamt mit dem Scharfblick eines wahren Kenners ausgewählt. Indirekte Beleuchtung, deren Quelle selbst dem aufmerksamsten Betrachter verborgen blieb, und die perfekten Temperaturen hier rundeten das Bild ab.
    Es war selbstredend nicht das erste Mal, dass Erzbischof Wyllym Rayno die Privatgemächer des Großinquisitors betreten durfte. Rayno war der Erzbischof der Diözese Chiang-wu im Harchong-Reich. Zugleich war er der Adjutant des Schueler-Ordens, und das machte ihn zu Clyntahns Erstem Offizier im Heiligen Offizium der Inquisition. Aus diesem Grund wusste Rayno mehr darüber, was Clyntahn dachte und war in dessen Pläne umfassender eingeweiht als jeder andere auf Safehold. Das galt sogar für Clyntahns Kollegen aus der ›Vierer-Gruppe‹. Allerdings gab es Bereiche in Clyntahns tiefstem Inneren, in die selbst Rayno nicht vorgestoßen war. Ein Grund dafür war, dass der Erzbischof in diese intimsten Tiefen und Untiefen auch nicht vorzustoßen wünschte.
    »Kommen Sie, Wyllym - kommen Sie herein!«, sagte Clyntahn überschwänglich, als der obligatorische Posten vor den Gemächern des Großinquisitors für Rayno die Tür geöffnet hatte.
    »Ich danke Euch, Euer Exzellenz«, murmelte Rayno. Er trat an dem Posten, einer aus einer Gruppe handverlesener Tempelgardisten, vorbei.
    Clyntahn streckte Rayno seinen bischöflichen Ring entgegen, und der Erzbischof beugte sich vor, um das Symbol für den Rang des Großinquisitors respektvoll zu küssen. Dann richtete er sich wieder auf und schob die Hände in die weit geschnittenen Ärmel seiner Soutane. Von der hochherrschaftlichen Tafel waren die Überreste eines wahrhaft üppigen Mahles immer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher