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Teuflische Kuesse

Teuflische Kuesse

Titel: Teuflische Kuesse
Autoren: Teresa Medeiros
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starrte auf den Teppich hinunter
und weigerte sich, sie anzusehen. »Tausend Mal habe ich diesen Augenblick in
meinen Träumen durchlebt. Doch er nimmt jedes Mal das gleiche Ende. Ich gehe an
ihren ausgebreiteten Armen vorbei und erwache in dem Moment, in dem ich sie
weinen höre.« Er hob den Kopf und sah Laura mit hartem Blick an. »Das ist es,
was ich ihr niemals vergeben werde. Niemals.«
    »Aber wer
ist es in Wirklichkeit, dem du nicht vergeben kannst, Sterling? Deiner Mutter?«
Laura berührte seine Wange. »Oder dir selbst?«
    Er nahm sie
am Handgelenk und schob sie sacht fort. »Ich weiß nicht, was für einen
Unterschied das machen soll.«
    Er ließ sie
stehen, ging zum Schreibtisch und fing an, die Briefe in das Schubfach
zurückzuwerfen.
    Laura
beobachtete ihn mit bleichem, reglosem Gesicht. »Hast du dich je gefragt, warum
du die Briefe deiner Mutter aufgehoben hast, wo du doch nie vorhattest, sie zu
lesen?«
    Sterling
gab keine Antwort. Er raffte einfach die am Boden liegenden
Briefbögen zusammen und warf sie achtlos aufeinander.
    »Der Teufel
von Devonbrooke kann ihr vielleicht nicht vergeben«, sagte Laura. »Aber ich
wage zu behaupten, Nicholas Radcliffe könnte es.«
    »Einen
Nicholas Radcliffe gibt es nicht. Er war ein Produkt deiner Phantasie, sonst
nichts.«
    »Bist du
dir da so sicher? Vielleicht war er ja der Mann, zu dem du geworden wärst, wenn
du auf Arden Manor aufgewachsen wärst und auf die Liebe deiner Mutter hättest
vertrauen können. Vielleicht ist er der Mann, der du immer noch sein könntest,
wenn du nur ein klein wenig Gnade in deinem Herzen finden könntest – für sie
und für dich selbst.« Laura schluckte, frische Tränen ließen ihr die Augen nass
werden. »Und vielleicht auch für mich.«
    Sterling
wusste instinktiv, dass Laura in diesem Moment zum letzten Mal ihren Stolz
hinunterschluckte und ihn um Vergebung bat. Das letzte Mal, dass sie um ihn
weinte. Er legte den letzten Brief in die Schublade und schob mit Nachdruck
das Fach zu.
    Laura
schloss die Augen. Als sie sie wieder aufschlug, waren ihre Tränen getrocknet.
»Du hast deiner Mutter das Herz gebrochen«, sagte sie leise. »Meines wirst du
nicht brechen.«
    Als sie
gegangen war, schwang Sterling den Drehsessel herum. Er konnte die Tür, durch
die Laura eben verschwunden war, nicht länger ansehen. Sein Blick fiel auf den
einen Brief, den er übersehen hatte – den, der einsam und zerknüllt im Kamin
lag.
    Ein Feuer
sollte er machen, dachte Sterling ungerührt. Den ganzen Berg von Briefen in den
Kamin werfen und ihnen beim Verbrennen zusehen. Er verkniff sich einen Fluch,
bückte sich und holte den Brief aus der kalten Asche.
    Er rüttelte
das Schubfach auf, entschlossen, das Schreiben mit den anderen wegzuschließen.
Aber irgendetwas hielt ihn zurück. Ein zarter Hauch von Orangenblütenduft
vielleicht oder der Schock, die elegante, geschwungene Schrift seiner Mutter so
unleserlich zu sehen.
    Sterlings
Hände zitterten, während er langsam das Papierknäuel auffaltete und es auf der
Kladde, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag, glatt strich. Der Brief war auf
den 28. Januar 1815 datiert – nur fünf Tage, bevor seine Mutter gestorben war.
    Mein
über alles geliebter Sohn,
    bitte
verzeih meine miserable Schrift. Das Laudanum, das ich einzunehmen habe, um
die Schmerzen zu lindern, scheint Geist und Hand gleichermaßen zu benebeln.
Verschwende kein Mitleid auf mich. Dass ich sterben muss, ist nicht so
schrecklich. Nur, dass ich sterben muss, ohne dein geliebtes Gesicht noch
einmal gesehen zu haben.
    Mein
Schöpfer und ich haben schon vor langer Zeit Frieden miteinander gemacht, also
brauche ich die Zukunft nicht zu fürchten. Ich betrachte mich als gesegnete
Frau, weil ich das Glück hatte, deine Mutter sein zu dürfen, wenn auch nur für
wenige, kurze Jahre.
    Sterling vernahm die Stimme seiner Mutter so
klar, als stünde sie hinter ihm. Er rieb sich die Nasenwurzel und war dankbar,
dass sein Onkel ihm schon vor langer Zeit die Tränen ausgeprügelt hatte.
    Wir
haben einander niemals richtig Lebewohl gesagt, und ich habe auch nicht die
Absicht, dies jetzt nachzuholen. Obwohl ich so viele Jahre lang nicht mit dir
zusammen sein konnte, mein süßer Sohn, so hoffe
ich doch, vom Himmel aus über Dich wachen zu können. Um dir an einem kalten
Wintertag einen Sonnenstrahl zu schicken und dir meine unsichtbare Hand auf die
Stirn zu legen, wenn du müde bist und die Tage dir allzu lang erscheinen.
    Wo auch
immer dieses Leben
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