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Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Titel: Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)
Autoren: Annelie Wendeberg
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eine Schlangenzunge aufspaltete. An jeder Spitze war eine Eisentür mit einem kleinen, vergitterten Fenster.
    Ich ging nach links und schaute auf Zehenspitzen durch die Öffnung. Zehn Frauen, etwa zwischen fünfzehn und vierzig Jahre alt, saßen zusammengepfercht in der Zelle. Ein Eimer diente als Abort und war bis zum Rand gefüllt. Die Angst war greifbar.
    Mit böser Vorahnung, so schwer, dass ich mich kaum bewegen konnte, ging ich zu der Tür auf der rechten Seite. Die Zelle beherbergte zehn Männer. Mein Herz klopfte gegen den Brustkorb, doch ich hörte es nicht, sah nicht die Tür, nicht die Zelle oder die anderen Insassen. Alles, was ich sah, war dieser eine Mann. Und ich spürte, wie meine Rüstung von mir abfiel, als wäre sie zu klein und zu starr, um sie noch länger tragen zu können.

    Irgendwo in Berkshire sang ein Pirolmännchen seinen melodischen Ruf. Kurz darauf folgte die kratzige Antwort des Weibchens.

Kapitel Einundzwanzig
    Klarheit des Geistes bedeutet gleichzeitig Klarheit der Leidenschaft; daher liebt ein großer und klarer Geist inbrünstig und sieht deutlich, was er liebt.
    – B. Pascal –

    r warf nur einen kurzen Blick auf das vergitterte Fenster in der Eisentür und mein Gesicht dahinter. Dann zog er sich wieder in die Ecke zurück und zupfte an seinen Schuhen.
    Der Gedanke an die sterbenden Kaninchen und Mäuse in der Medical School schlich sich in meinen Verstand und drohte, ihn auseinanderzusprengen. Unsere Zeit war abgelaufen.
    Hinter mir sprach jemand, es war Bowden. Meine Kehle war verkrampft, mein Mund trocken. Er tippte mir auf die Schulter, und ich drehte mich langsam um. Ich strengte mich an, meine Wut zu verbergen. Mein Gehirn schickte einen dringenden Appell an die Lungen, weiterzuatmen. Ich hustete. »Die Leute sehen jetzt schon krank aus!«, blaffte ich Bowden an.
    Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. Er trat einen Schritt zurück und fauchte: »Das sind die, die zur Verfügung stehen! Benutzen Sie sie.«
    »Wann fangen wir an?«, fragte ich und bemühte mich, nur Neugier in meine Stimme zu legen und nicht den Ansturm von Angst und Hass.
    »Morgen.«
     

    Am nächsten Tag war eine letzte Untersuchung unserer Versuchsobjekte fällig. Nur Stunden später würden wir ihnen aktive oder hitzeinaktivierte Choleraerreger verabreichen.
    In meiner Arzttasche waren zwei braune Glasflaschen, markiert mit ›aktiv‹ und ›inaktiv‹, zusammen mit Spritzen und einem Gummischlauch.
    Während wir durch den Saal des Hochsicherheitstrakts gingen, bat ich Stark, die Frauen zu untersuchen. Ich machte ihn glauben, ich hätte eine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht. Was ihn augenscheinlich belustigte.
    Ein Wächter öffnete eine Zelle, ich ging hinein, und die Tür wurde hinter mir geschlossen. Ich hatte am ganzen Körper Gänsehaut. Das kleine Fenster, hoch oben in die dicke Steinmauer eingelassen, war mit vier Metallstreben vergittert. Auch der Boden war kalt. Der beengte Raum sog alle Wärme auf, und ich zitterte, noch bevor ich meine Utensilien auf den Holztisch gelegt hatte.
    Beim Klacken der Tür drehte ich mich um. Die Wache öffnete, und die erste Versuchsperson wurde achtlos in die Zelle geschoben. Ich war entsetzt – der Mann war nackt, seine Hände hinter dem Rücken gefesselt.
    Meine Zunge klebte am Gaumen. Ich hätte die Wache am liebsten angebrüllt – es gab absolut keine Notwendigkeit, den Mann zu zwingen, sich komplett auszuziehen. Respekt und Mitgefühl hatten diesen Ort offensichtlich schon lange verlassen. Ich fragte mich, warum sich normale Menschen willentlich in Foltermaschinen verwandeln ließen. Es gab ihnen Macht, dachte ich und nickte. Sofort bedauerte ich es – der Wachmann beobachtete mich. Seine Augen verengten sich, eine Hand wanderte zum Stock an seiner Seite.

    Ich untersuchte diesen Mann, den nächsten und den darauffolgenden. Sie waren alle gleich: unterernährt, misshandelt und voller Angst. Sie alle hofften, ich würde ihnen helfen, Mitleid zeigen oder ihnen sagen, was passieren würde. Als ob sie das wissen wollten! Ich wollte es nicht. Alles, nur nicht das Wissen, an Cholera zu sterben, während ich auf eine Pritsche gefesselt wäre.
    Die Wache führte den nächsten Mann herein. Er sah aus wie die anderen, verhungert und schmutzig, die Rippen nur zu sichtbar über dem eingefallenen Bauch. Er ging gebückt und humpelte, seine Füße geschwärzt. Ich kannte ihn so gut. Nicholson würde dieses Wrack von einem Mann, den er vor langer Zeit
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