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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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Pickenpack.
    »Entweder du gehst zu deinem Freund zurück und sagst ihm, dass ich schon weg war, oder du haust mit mir ab. Aber entscheide dich. Ich will nicht, dass der hier auch gleich noch rauskommt.«
    »Fahr los«, sagte das Mädchen.
    »Ich wollte ihn sowieso verlassen«, sagte sie. »Neulich hat er mich total zusammengeschlagen. Aber er kann auch sehr lieb sein.«
    »Wo willst du denn jetzt hin?«
    »Ich weiß nicht. Ich komm eigentlich aus Lohne, das ist in der Nähe von Celle.«
    Sie kam tatsächlich aus einem Dorf.
    »Und? Kannst du dahin nicht wieder zurück?«
    »Meine Eltern wohnen immer noch da. Aber ich habe kein Geld.«
    »Pass auf, ich fahr dich jetzt zum Bahnhof, dann gebe ich dir das Geld, und dann kaufst du dir eine Fahrkarte und fährst nach Hause.«
    »Echt? Das würdest du tun?«
    »Klar«, sagte ich. Mein Magen krampfte sich vor Kummer zusammen. Geld bedeutete mir sehr viel. Auf der anderen Seite war das natürlich eine Geschichte, die sich später gut erzählen ließ.
    »Aber dann musst du mir eins versprechen …«
    »Was?«
    »Du musst mir versprechen, dass du nichts mit Holger anfängst, wenn ich weg bin. Ich habe das nämlich mitgekriegt, wie der dich angesehen hat.«
    »Was? Ich kenne deinen Holger doch überhaupt nicht. Ich weiß noch nicht mal, wo der wohnt. Außerdem ist der hässlich.«
    Das schöne Geld. Hätte ich ihr bloß nicht die Fahrkarte versprochen. Was war das nur für eine bescheuerte Idee gewesen, so eine dämliche Hure retten zu wollen.
    »Wieso, der sieht doch unheimlich gut aus. Findest du nicht, dass der gut aussieht?«
    »Nee, der ist hässlich.«
    »Wieso denn? Magst du keine Bärte? Der sieht doch toll aus.«
    »Ich habe das Gefühl, du bist dir noch gar nicht darüber im Klaren, was du eigentlich willst«, sagte ich. »In Wirklichkeit willst du doch gar nicht fahren, stimmt’s?«
    Es war erschreckend, wie leicht sie zu manipulieren war. Willensmäßig völlig unterbelichtet. Das ideale Opfer.
    »Du hast recht«, sagte sie. »Eigentlich will ich nicht fahren. Du kannst mich aber trotzdem am Bahnhof rauslassen. An der Langen Reihe. Ich mach noch ’n paar Freier. Wenn ich mit Geld zurückkomme, ist Holger nicht so sauer, dass ich abgehauen bin.«
    »Ja«, sagte ich, »vielleicht bricht er dir dann bloß einen Arm.«
    Jetzt, wo mein eigenes Portemonnaie aus der Diskussion war, versuchte ich, noch einmal zu missionieren.
    »Sei nicht blöd, gib diesem Mistkerl nicht dein ganzes sauer verdientes Geld, sondern kauf dir davon eine Fahrkarte und hau ab.«
    »Nein, ich geh zu Holger zurück. Du hast schon recht: Eigentlich will ich gar nicht weg.«
6
    Gegen zwei Uhr morgens wartete ich am Siemersplatz. Regen klopfte leise aufs Autodach und auf die Windschutzscheibe. Ich war bereits zu müde, um ein Buch zu lesen, und blätterte stattdessen den neuen Stern durch. Zwischendurch stellte ich den Scheibenwischer an, um besser eine riesige Ratte und einen jungen Großstadtmarder beobachten zu können, die sich über eine Pfütze hinweg angifteten. Hinter mir hielt ein weiteres Taxi. Marder und Ratte sausten einträchtig unter eine Hecke. Der Fahrer des Taxis stieg aus. Er kam zu mir nach vorn, öffnete die Beifahrertür und setzte sich neben mich. Ich betrachtete ihn im Licht der kleinen Leselampe. Er war groß und schlank und hatte halblange Schnittlauchhaare, die ihm über ein Auge fielen, und einen altmodischen Oberlippenbart, zwei dünne Striche, die rechts und links der Nase begannen und bis zu den Mundwinkeln reichten. Er trug ein kanarienvogelgelbes Hemd. Ich kannte niemanden, der so aussah, und schätzte ihn der Aufmachung wegen zunächst auf vierzig Jahre.
    »Hallo, ich fahr auch für Mergolan«, sagte er. »Ich bin Dietrich.«
    Geh weg, dachte ich.
    »Du bist die Neue, ja? Alex, stimmt’s? Seit wann fährst du?«
    Ein drittes Taxi hielt am Posten, und auch dessen Fahrer stieg aus, kam nach vorn, öffnete diesmal die Hintertür und setzte sich auf den Rücksitz.
    »Das ist Rüdiger«, sagte Dietrich. »Und das ist Alex. Fährt auch bei uns.«
    Rüdiger war ein pummeliger Typ mit einem ballonartig großen Schädel. Er trug eine Prinz-Heinrich-Mütze und hielt ein altes, in Leder gebundenes Buch in der Hand. Dünne braune Ponyfransen klebten an seiner runden Stirn. Das Gesicht war gleichzeitig schwammig und kindlich. Auch wegen der Pickel. Er sah aus wie ein verlebter Vierzehnjähriger.
    »Hey«, schrie Rüdiger, auf eine geradezu manische Art aufgekratzt und mit
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