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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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begann zu blättern. Meerweinstraße, Meerweinstraße – warum nicht gleich Meerschweinchenstraße?
    »Fahren Sie einfach mal los. Ich sage Ihnen, wo es langgeht.«
    Ich stellte den Taxameter an, fädelte mich in die Julius-Vosseler-Straße ein, schaltete, blinkte, wechselte die Spur, überquerte den Siemersplatz. Es war ein langer Weg, quer durch Eppendorf und Winterhude, und es fühlte sich seltsam an, jemanden, den man noch nie zuvor im Leben gesehen hatte, so dicht hinter sich sitzen zu haben, dass man meinte, seinen Atem im Nacken zu spüren. Die Meerweinstraße war eine kleine Wohnstraße mit roten Backsteinhäusern, eine Einbahnstraße. Ich kassierte, schaltete den Taxameter wieder aus, schrieb eine Quittung, ließ die Frau aussteigen und stellte mich an den nächsten Posten, der an der Jarrestrasse lag. Ein Taxi hielt neben mir. Der Fahrer schob seine Ledermütze aus der Stirn und kurbelte sein Seitenfenster herunter. Mein Fenster war ja schon unten.
    »Ist das ein Mergolan-Wagen?«
    »Ja. Wieso?«
    »Hab ich doch gleich gesehen, haha. Mergolan!«
    Er wollte sich gar nicht wieder beruhigen.
    »Kampnagel« , rief die Funkerin. Ich brauchte vier Sekunden, bis mir einfiel, dass der Posten an der Jarrestrasse nach der Kampnagelfabrik ,Kampnagel’ hieß.
    »Niemand am Posten Kampnagel? Bereich.«
    »Zweihundervierundvierzig«, schrie ich und hieb auf die Funktaste. »Zweihundertvierundvierzig, Zweihundertvierund…«
    »Nun mal ganz ruhig, Zwodoppelvier. Ich höre Sie sehr gut. Sie brauchen nicht so zu schreien. Stehen Sie am Posten Kampnagel? Meerweinstraße 33 für Kantereit.«
    »Meerweinstraße 33 für Kantereit. Danke Zwodoppelvier.«
    »Danke Zwodoppelvier.«
    Und diesmal brauchte ich nicht einmal im Straßenatlas nachzuschlagen.
4
    Nach drei Wochen hatte ich den Dreh so ungefähr raus. Taxifahrer sprachen nicht nur von Taxis (sächlich), sondern auch von Taxen (weiblich). Manchmal benutzten sie beide Wörter in ein und demselben Satz. Weiß der Teufel, warum. Ein alter Taxifahrer, der ohne Funk fuhr, hieß Graupe. Jemand, der am Straßenrand winkte und zu mir in die Taxe stieg, ohne mich vorher per Funk bestellt zu haben, war ein Anläufer, und ihn irgendwohin zu bringen, war eine Tour. Trinkgeld hieß Tip, Taxameter hieß Uhr, und eine Tour, bei der die Uhr nicht eingeschaltet war und ich den ganzen Fahrpreis alleine einstrich, nannte man einen Sieger fahren.
    Abends zwischen sechs und acht lief das Geschäft eigentlich von selbst – jedenfalls im Innenstadtbereich. Um diese Zeit waren die Leute mit dem, was sie den Tag über beschäftigt hatte, fertig und wollten so schnell wie möglich heim. Nach acht wurde es ruhig. Alle Leute waren dort, wo sie hingehörten, zu Hause vor dem Fernseher oder im Theater oder im Restaurant, und die nächsten zwei Stunden konnte ich in einem meiner Bücher über die großen Affenarten lesen, ohne allzu oft unterbrochen zu werden. Gegen zehn ging es dann wieder los: Musikhalle und Staatsoper. Bis Mitternacht lief es. Der Springer Verlag in der Kaiser-Wilhelm-Straße bestellte reichlich Taxis über Funk. Oder man kreuzte zwischen den verschiedenen Amüsiervierteln hin und her. Am Posten Gänsemarkt konnte man keine Funktouren annehmen, weil man von den anderen Taxis eingekeilt war, aber dafür kamen hier viele Anläufer vorbei. Großneumarkt ging sogar noch bis eins. Allerdings waren die späten Fahrten hier oft Schrott-Touren. Die Büroangestellten, die es in den Wein- und Bierkneipen nicht geschafft hatten, eine Frau für umsonst mit nach Hause zu nehmen, ließen sich für fünf Mark zur Reeperbahn fahren. Dort konnte man gleich stehen bleiben. Reeperbahn war das Einzige, was wochentags auch noch nach eins ging. Und die Taxiposten, die in der Nähe eines Clubs lagen. Gegen drei Uhr morgens wartete ich immer am Posten Siemersplatz, um eines der Mädchen vom Funny Club nach Hause zu bringen. Die Mädchen, die in den Clubs arbeiteten, fuhren alle mit dem Taxi nach Hause.
5
    »Schieb mal die Kassette rein«, sagte er und tat es selbst. Er hatte dicke, hellrote Locken, bis auf die massigen Schultern herunter. Im Gesicht gingen sie in einen Vollbart über. Ein richtiger Löwenkopf. Er sah überhaupt nicht aus wie ein Zuhälter. Sein Mädchen saß auf der Rückbank und verschränkte die Finger ineinander. Sie war sehr klein und unscheinbar und wirkte auch nicht wie eine Prostituierte. Die Kassette war von Hans Hartz. »Die weißen Tauben sind müde«, sang Hans Hartz, während
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