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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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konnte, griff der Schimpanse zum zweiten Mal ins Lenkrad. Und so schoss das Taxi am Ende über eine Böschung. Ich schrie, der Affe schrie, die Bremse quietschte, Zweige prasselten von allen Seiten auf die Fenster, dünne Zweige, dicke Äste, Holz krachte, Metall knirschte. Dann hob sich das Vorderteil des Taxis in die Luft, das Scheinwerferlicht erfasste den Rand einer Baumkrone, und dann sah ich über mir nur noch den schwarzblauen, sternenübersäten Himmel. Ich dachte nichts. Ich hatte keine Zeit zu denken.
    »Raaarhrgh«, kreischte der Schimpanse.
67
    Gegen fünf Uhr morgens verließ ich mit Nusske das Polizeirevier. Den Taxischein war ich los. Für immer. Außerdem hatte mich der Besitzer des Schimpansen angezeigt. Sein Affe war bislang noch nicht wieder aufgetaucht. Wahrscheinlich hangelte der sich gerade in großen Schwüngen durch einen Staatsforst.
    Auf dem Parkplatz warteten Dietrich, Rüdiger und Taximörder. Der Himmel fing gerade an, hell zu werden.
    »Wieviel Punkte hast du gekriegt?« fragte Rüdiger, als ich an ihm vorbeiging.
    »Weiß nicht«, sagte ich. »Aber darauf kommt es jetzt sowieso nicht mehr an.«
    »Das ist eigentlich nicht gerecht, dass Taxifahrer genauso viele Punkte bei einem Unfall bekommen, wie private Autofahrer«, sagte Taximörder. »Wenn man bedenkt, wie oft wir einen Unfall verhüten.«
    »Ja«, sagte Dietrich, »es kommt doch pro Woche mindestens zweimal vor, dass wir die Fehler irgendeines dämlichen Autofahrers ausgleichen. Und das rechnet uns ja auch keiner an.«
    »Es müsste ein Punktesysteme geben«, sagte Taximörder, »man müsste da Punkte gutgeschrieben bekommen. Wenn man zwanzig Unfälle verhütet, hat man dafür selber einen frei.«
    »Warum hast du das eigentlich getan?« fragte Rüdiger.
    Ich machte eine vage Geste und sah an ihm vorbei.
    »Du wärst der Letzte, dem ich es erzählen würde«, sagte ich.
    »Soll ich dich nach Hause bringen?« fragte Dietrich.
    »Danke, aber ich fahr schon mit Nusske.«
    Nusske war mit seinem Privatwagen gekommen, einem schwarzen Mercedes mit Anhängerkupplung. Er hatte einen Trailer angehängt. Auf dem stand jetzt der demolierte Zwodoppelvier. Wir gingen hinüber. Ein Kotflügel des Taxis war halb abgerissen, der andere gestaucht. Sogar das Dach war verbeult. Eines der Vorderräder hing in einem merkwürdigen Winkel an der Achse, und die Stoßstange fehlte ganz. Die Windschutzscheibe war herausgebrochen. Es steckten nur noch wenige kleine Glasstücke im Rahmen.
    »Du hast wirklich verdammtes Glück gehabt«, sagte Nusske und zeigte auf die Pflaster in meinem Gesicht. Ich griff durch das offene Seitenfenster des Zwodoppelvier und zog meinen Stadtplan neben dem Fahrersitz hervor.
    »Braucht jemand einen Stadtplan?«
    Taximörder nahm ihn. Nusske und ich stiegen in den schwarzen Mercedes.
    »Super«, sagte Nusske, als wir die Türen geschlossen hatten. »Echt klasse. Tausend Dank.«
    »Gern geschehen«, sagte ich.
    »Aber jetzt mal ehrlich – du hast es doch nicht etwa mit Absicht gemacht?«
    »Nein, ich schwör dir, das war der Schimpanse«, sagte ich. »Der Schimpanse hat mir ins Lenkrad gegriffen.«
    »Super«, sagte Nusske, »das ist ein Totalschaden, den kann ich komplett absetzen.«
    Er startete den Motor, und ich öffnete das Seitenfenster und sog die kühle, im ersten Moment klare und dann mit Dieselabgasen vermischte Morgenluft ein. Jetzt ging die Sonne auf. Flüssige Farben verteilten sich auf dem Himmel und breiteten sich schnell aus – Rosa und Meergrün. Ich hatte ganz vergessen, wie schön die Sonnenaufgänge gewesen waren, als ich in der ersten Zeit noch jede Nacht bis zum Morgen Taxi gefahren war. So schlecht war der Job vielleicht gar nicht. Ich hätte nachts bloß länger durchhalten sollen.
    Dietrich, Rüdiger und Taximörder standen neben ihren Wagen und sahen zu, wie wir abfuhren.
    Die Straße spulte sich unter uns ab. Zuerst diese Straße, dann eine andere und dann wieder eine andere. Häuser zogen vorbei. Es waren dieselben Straßen und Häuser, an denen ich seit Jahren jede Nacht vorbeigekommen war – nur um ein Winziges verändert. Die Straßen waren nicht mehr mein Revier, sondern einfach nur Straßen, und die Häuser waren keine Adressen mehr. Bloß Häuser. Auch mit den müden Frühaufstehern am Straßenrand hatte ich nichts mehr zu schaffen. So also fühlte sich das an. In ein oder zwei Jahren würde ich vielleicht sogar an einem unbesetzten Taxiposten voller winkender Fahrgäste vorbeifahren können,
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