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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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anzusehen, legte meine Mutter eines meiner Bettlaken in die Waschmaschine.
    »Ach, aus dir wird ja doch nichts mehr.«
    Ich griff in die Waschmaschine und zog das Laken wieder heraus.
    Meine Mutter packte das andere Ende und klammerte sich daran fest.
    »Gib meine Wäsche her«, zischte ich sie an.
    »Ach, jetzt sei doch nicht albern, bloß weil ich dir mal die Wahrheit sage.«
    »Los, los, her mit dem Laken.«
    Ich riss es ihr aus den Händen und stopfte es zurück in den Sack. Dann nahm ich die gewaschenen und gebügelten Hemden aus dem Korb und stopfte sie ebenfalls in den Sack, mengte sie unter die Schmutzwäsche.
    Plötzlich brach meine Mutter ein. Ihre Arme hingen schlaff an ihr herunter.
    »Ich weiß überhaupt nicht, was du hast. Das bisschen Wäsche, das kann ich doch ruhig mitmachen. Das merk ich doch überhaupt nicht.«
    Beinahe tat sie mir schon wieder leid. Aber ich durfte nicht nachgeben.
    »Gib’s her«, sagte ich, »gib’s einfach her.«
    Dabei hatte ich längst alles im Sack verstaut.
61
    Vor dem Tonndorfer Fass wartete ein glatzköpfiger Mann. Als ich mit dem Taxi vorfuhr, beugte er sich noch einmal über ein Mofa, das vor einem Bretterzaun abgestellt war, und sicherte dessen Anhänger mit einem zusätzlichen Schloss.
    »Das Mofa hab ich mir nur geliehen«, sagte er, als er sich neben mich setzte, »zu Hause habe ich einen Porsche.«
    »Wirklich? Ist ja toll! Und wo soll es hingehen?«
    »Billbrookdeich.«
    Er hatte nicht nur keinen Porsche, er hatte noch nicht einmal eine richtige Wohnung. Im Billbrookdeich lag das Männerwohnheim. Das Bullenkloster. Vorderzähne hatte er auch nicht mehr alle.
    »Der hat ’ne Speziallackierung, mein Porsche, mit so Glitzereffekten.«
    »Aha. Und innen? Alles aus Leder?«
    »Connolly-Leder. Weißt du überhaupt, was das ist, Connolly-Leder? Dafür nehmen die nur Kühe, die nicht hinter Stacheldraht gestanden haben. Damit das Leder keine Löcher hat. Das beste Leder überhaupt.«
    »Alle Achtung«, sagte ich.
    Plötzlich wechselte er das Thema.
    »Du bist unglücklich, nicht wahr?«
    Jetzt war diese Masche schon bis zum Mofa-Proletariat durchgesickert.
    »Nee, ich bin ganz vergnügt.«
    »Doch, doch, ich kann so etwas sehen. Dir geht es gar nicht gut.«
    Wahrscheinlich hatte ihm ein Kumpel aus dem Bullenkloster erzählt, dass das der Top-Trick war, um die dämlichen Weiber ins Bett zu kriegen. Ich lachte. Seine Laune verschlechterte sich.
    »Ja, ja. Tu ruhig so tough. Mich kannst du nicht täuschen. Du bist unglücklich, total unglücklich.«
    Ich lachte immer mehr. Ich wurde geradezu ausgelassen.
    »Wie geht es dir denn?«, fragte ich. »Bist du nicht auch ein ganz klein wenig unglücklich? Erzähl doch mal? Woran fehlt’s?«
    »Mensch, halt bloß den Mund, halt bloß den Mund«, knurrte er. »Ich weiß, dass du unglücklich bist. Ich weiß das, verstehst du?«
    »Ja, klar«, sagte ich und wischte mir die Lachtränen aus den Augen, »ich bin total unglücklich. Endlich versteht mich mal jemand.«
    Er verschränkte die Arme und hasste mich still. Als wir beim Bullenkloster vorfuhren, griff er wortlos in sein Portemonnaie und gab mir einen Fünfziger. Während ich das Wechselgeld zusammensuchte, öffnete er schon die Beifahrertür. Er konnte gar nicht schnell genug aus meinem Taxi herauskommen.
62
    Ich hatte mir vorgenommen, jeden Tag mindestens zehn Gegenstände wegzuwerfen. Bis ich alles losgeworden war. Mit der Gitarre fing ich an. Ich hatte mehrere Anläufe gemacht, Gitarre spielen zu lernen, aber ich hatte es nicht einmal geschafft, sie zu stimmen. Einfach kein Gehör. Ich stellte die Gitarre an die Straße. Irgendjemand würde sie schon mitnehmen. Als ich in die Wohnung zurückkam, klingelte das Telefon. Einen Moment hoffte ich, es wäre vielleicht Marco. Wenn ich an Marco dachte, trug er immer Schwarz. Es war aber Majewski.
    »Hallo. Ich bin’s. Sag mal, hast du auch so ein komisches Knacken in der Leitung? Bei mir knackt das ständig. Ich muss wissen, ob das an meinem Telefon liegt oder ob das im ganzen Haus so ist.«
    Ich legte auf. Als Nächstes nahm ich mir die Bücher vor, die Dietrich mir geschenkt hatte und die sich auf den vielen Fensterbrettern stapelten. Ich nahm ein Buch nach dem anderen in die Hand. Taschenbücher ohne Rücken, zerfledderte Bücher, stinkende Bücher. Ah, Otto Weininger: Geschlecht und Charakter – das Buch sah aus, als wäre es in eine dreckige Stofftapete gebunden. Ich schleuderte es aus dem Handgelenk quer durchs Zimmer und
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