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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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sah zu, wie es genau im Papierkorb landete. Die Sache fing an, mir zu gefallen. Wenn man sich erst einmal überwunden hatte, brachte Wegwerfen viel mehr Spaß, als etwas zu kaufen. Und billiger war es auch. Ich stellte mir vor, wie meine Wohnung aussehen würde, wenn das ganze Gerümpel erst weg war. Ich würde nicht mehr behalten, als in einen Koffer passte. Und dann würde ich auch noch den Koffer wegwerfen. Das war eine gute Vorbereitung auf den Tod. Wenn einem nichts mehr wichtig war, wenn man sich von allem gelöst hatte, starb es sich wahrscheinlich ganz leicht.
63
    Am frühen Abend stand ich mit dem Zwodoppelvier am Großneumarkt und entmüllte den hinteren Fußraum. Ich hatte schon ein Zweimarkstück und zwei Groschen gefunden. Als ich gerade die zweite Fußmatte ausschüttelte, hielt ein Taxi hinter mir. Rüdiger stieg aus. Er blieb einen Meter neben mir stehen und warf den Kopf in den Nacken.
    »Wie ich höre, hast du dich jetzt endlich zu deiner Herkunft und deinen Instinkten bekannt?«
    »Wie meinen?«, sagte ich und donnerte die Fußmatte mehrmals gegen einen Hinterreifen.
    »Nun, wie ich höre, hast du dich von Dietrich getrennt und bist jetzt mit einem ganz normalen Boyfriend zusammen. Meinen Glückwunsch. Ich denke, das war die richtige Entscheidung.«
    »Ja, ja«, sagte ich und arrangierte die Fußmatten wieder im Auto, »und wie ich sehe, sitzt du wieder in einem Taxi. Das war sicher auch die richtige Entscheidung.«
    »Nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich das sage, aber Dietrich ist ja eigentlich auch immer ein paar Nummern zu groß für dich gewesen. Und er ist halt nicht der Schwiegermuttertyp, keiner, mit dem man vor seinen Freundinnen angeben kann. Kleine Vorstadthummeln sollten sich an Boyfriends mit Muskeln und Kohle halten, die sie nicht mit Geistigem überfordern. Ich denke, dass es für dich ungeheuer erleichternd sein muss, endlich auf deinem eigenen Niveau zu lieben, und ich gönne es dir von ganzem Herzen.«
    »Sehr lieb, Rüdiger, aber warum fährst du nicht einfach weiter. Schau nur: Der Großneumarkt ist ja wie ausgestorben. Das kann Stunden dauern, bis hier jemand an den Taxistand kommt.«
    »Übrigens hat Dietrich das selber von Anfang an durchschaut«, fuhr Rüdiger unbeirrt fort. »Es war uns beiden klar, dass du irgendwann absackst. Dietrich hat nun mal Klasse, und die hast du eben nicht. Weißt du, was er neulich zu mir gesagt hat? Dietrich hat gesagt: Das kleine schmierige Glück – jetzt hat sie es .«
    »Was macht eigentlich deine Suhrkamp-Veröffentlichung?«, fragte ich. »Udo meint, das wäre alles nur heiße Luft.«
    »Da hast du ja g-gerade noch rechtzeitig die Kurve gekratzt«, sagte Rüdiger und stieg endlich wieder in sein Taxi. »Schließlich wirst du jetzt alt und hässlich. Falls du nicht dein Leben lang Besoffene durch die Gegend kutschieren willst, bleibt dir nur ein Ausweg: Mutterschaft! Und einen Versorger hast du ja schon. Vertrau endlich deinem Unterleib. Dafür b-bist du schließlich da. Im Geistigen wirst du sowieso niemals zu Hause sein.«
    »Ja, ja«, sagte ich, »nur du und Dietrich, die großen Geister.«
    »Oh bitte, versuch nicht, ironisch zu sein«, rief Rüdiger aus dem Fenster, während er anfuhr, »es ist dir einfach nicht gegeben.«
64
    Es klingelte. Majewski stand vor der Tür. Er trug eine Halskrause, sein rechtes Bein und sein rechter Arm waren eingegipst. Er stützte sich auf zwei Krücken, die ihm bis unter die Schultern reichten. Ich hatte schon von seinem Unfall gehört. Er war mit einem Motorrad in einer Öllache ausgerutscht. Bei zweihundert Stundenkilometern. Das Mädchen, das hinter ihm gesessen hatte, lag mit mehrfach gebrochenem Becken immer noch im Krankenhaus. Majewski war nur auf eigenes Risiko entlassen worden, fuhr aber bereits wieder seinen BMW. Das Gaspedal bediente er mit einer der Krücken.
    Er streckte mir mühsam den Arm hin. In der Hand hielt er einen Brief.
    »Hier, der ist für dich. Hat der Briefträger aus Versehen in meinen Kasten gesteckt.«
    Ich nahm den Brief. Majewski kratzte mit seinem Gipsbein auf der Fußmatte herum.
    »Tja, und dann wollte ich dich noch etwas fragen …«
    Er machte eine Pause. Ich sagte nichts. Ich konnte es nicht fassen, dass er tatsächlich noch einmal ankam. Genauso gut hätte er jetzt seine Hose aufmachen und auf meine Fußmatte pinkeln können.
    »Weißt du, bei mir oben wirbeln doch noch die ganzen Rechnungen und Belege herum«, fuhr Majewski fort. »Ich komme einfach nicht dazu,
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